Der Sound des Früher

Das gemeinsame Singen am Telefon, es kann trösten, wenn viele Grenzen zwischen Mutter und Sohn liegen. Jugendliche erzählen in der Tischlerei der Deutschen Oper von ihren akustischen Erinnerungen

Von Linda Gerner

Wie klingt deine Kindheit? Denkst du an das Flötenspiel deiner Mutter? An ein gesummtes Gutenachtlied? Das sollte eine Gruppe von 30 Berliner und geflüchteten Jugendlichen gemeinsam herausfinden.

In dem Musiktheaterstück „Der Schrei des Pfauen in der Nacht“ befassen sie sich mit ihren Klangerinnerungen. Etwas über eine Stunde dauert das Stück, und es passiert sehr viel, sehr schnell hintereinander. Gesang, Sprechchoreografien, Tanz. Die Jugendlichen erzählen in einfacher Sprache von ihren Erinnerungen, die ihre Herkunft ausmachen und Identität schaffen.

Bei der Premiere am Dienstagabend beginnt das Spiel bereits im Foyer der Tischlerei der Deutschen Oper. Die Unterhaltungen werden durch den Klang einer Cajón unterbrochen. Jugendliche singen und tanzen vor der Garderobe zu einem Lied, das die geflüchteten den Berliner Jugendlichen beigebracht haben.

Das Publikum soll sich an diesem Abend auf drei unterschiedliche Teile einlassen – nur im ersten schaut es zu. Anfangs erzählen die Jugendlichen persönliche Geschichten, etwa vom mies gekochten Essen der Oma, dessen Geruch trotz des schlechten Geschmacks bis heute glücklich macht.

Verbindungen aufspüren

Der Gesang eines Lullaby, in den alle Jugendlichen einsteigen, verursacht Gänsehaut. Die unterschiedlichen Biografien der Spielenden werden deutlich, doch gemeinsam ist ihnen, dass sie mit dem Blick eines Kindes auf die Welt erzählen. Die Jugendlichen stellen ihre politischen Meinungen heraus oder eben, dass sie eigentlich noch keine haben.

Ein Junge aus Afghanistan erzählt, warum ihn das gemeinsame Singen am Telefon mit seiner Mutter tröstet: „Wenn du ein Problem hast, kannst du zu deinen Eltern gehen, und die helfen dir dann. Ich kann das nicht. Ich habe niemanden, zu dem ich gehen kann.“ Singen, egal, ob man den Text genau kennt, mache glücklich. In diesem Punkt scheinen sich die Jugendlichen einig zu sein. Durch die geteilten Erinnerungen in Form von Geschichten, Liedern und Sounds lernten sie im Rahmen des Projekts die Biografien der anderen kennen. Dass daraus eine harmonierende Gruppe junger Leute mit Spaß am Spiel mit den Klängen entstanden ist, wird an diesem Abend deutlich.

Die Inszenierung unter der Leitung von Regisseurin Bernarda Horres und der Dramaturgin Tamara Schmidt ist ein beeindruckend vielfältiges Gesamtwerk. Schon die Sound­installationen von den Komponisten Sebastian Hanusa und Jan Brauer, die selbst einen Schokoladenblock durch ein eingebackenes Mikrofon zum Klingen bringen, sind großartig. Gefördert wurde das Musiktheater „Der Schrei des Pfauen in der Nacht“ von dem Deutschen Bühnenverein „Zur Bühne“ im Rahmen von „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung.“

Interaktiv wird es im zweiten Teil: An fünf Stationen darf sich das Berliner Publikum selbst an Klangexperimenten versuchen. Wie klingt es, wenn eine Zange an einem Schokoladenblock nagt? Welches Geräusch entsteht, wenn man sanft über die Nadeln einer Tanne streicht? Die Mikrofone machen auch minimale Sounds hörbar. Gurgelndes Wasser begleitet die emotionale Erinnerung eines Jugendlichen an die Flucht nach Deutschland, verspielte Geräusche untermalen die Vorfreude auf Weihnachten. Die Klänge kreieren die Jugendlichen dabei live und treten durch ihre Spielfreude leicht in Interaktion mit dem Publikum.

Zu Beginn der Vorstellung wurde versprochen: „Im dritten Teil kommen alle unsere Klangerinnerungen zusammen und treffen sich im musikalischen Jetzt.“ Kurzerhand wird das Stück am Ende zum Rave, zum Rap, zum Livekonzert. Ein schneller Beat wummert, und der Raum scheint sich im flirrenden Licht zu drehen. Zwischen den Besuchern tanzen die Jugendlichen ausgelassen, das Publikum steigt mit ein, und das Durchschnittsalter verjüngt sich gefühlt um die Hälfte. Beendet wird der Abend erneut mit Chorgesang. Dann Stille. Dann Klatschen.

Wieder 12. + 13. April, 19 Uhr. Eintritt 16 Euro, ermäßigt 8 Euro