Verdrängtes Erbe

Als sich Hunderte das Leben nahmen: Die Doku „Über Leben in Demmin“ ist in Hamburg zu sehen

Von Alexander Diehl

Eben noch erzählte einer, im idyllischen Garten sitzend, über „meine erste Begegnung mit dem Feind“: Gegen Kriegsende habe er damals die Russen gesehen, wie sie die Straße hinaufschlichen. Schnitt – und wir sind in der Gegenwart, der Krieg ist lange vorbei, und aus den Uniformierten in der Tonspur sind welche im Bild geworden: Deutsche Polizisten stehen da zwischen Dienstfahrzeugen. Warum, bleibt offen, erst mal.

Diesen scheinbar so bruchlosen Wechsel von den Erinnerungen an damals ins heutige Vorpommern wird es noch öfter geben in Markus Farkas’Film „Über Leben in Demmin“ und allmählich fügt sich daraus ein gemeinsames Bild: Die Polizisten sind damit betraut, eine Demonstration zu bewachen, die von ihren Ausrichtern als „Trauermarsch“ deklariert ist. Diese Wortwahl kennt man etwa auch aus dem niedersächsischen Bad Nenndorf, und auch in Demmin sind es Neonazis, die da den Ausgang des Zweiten Weltkrieges betrauern; zumindest melden sie stets für den 8. Mai ihren Umzug an.

Man wird das als geheuchelt bezeichnen dürfen, dass es aber etwas zu betrauern geben könnte, ein Verdrängtes, wo heute die Fassaden strahlen, diesem Umstand ist der Film gewidmet: Demmin hatte nicht nur reichsweit rekordverdächtige NSDAP-Wahlergebnisse, es war auch die Stadt, in der sich in den allerletzten Kriegstagen Hunderte von Einwohnern selbst das Leben nahmen; darunter auch Eltern, die ihre Kinder mit umbrachten.

Welche Rolle dabei die Angst vor der Roten Armee spielte, wie begründet sie war oder wie sehr das Ergebnis Goebbels’scher Einflüsterung: Der Film spürt all dem nach, ohne es bis ins Letzte ergründen zu können. Und doch ahnt man: Es liegt da, bildlich wie wörtlich, noch allerhand im Demminer Untergrund, über das viel zu lange keiner redete, und es nähren sich davon genau die Falschen – nicht nur jedes Jahr am 8. Mai.

Sa, 7. 4., 17 Uhr (anschließend Gespräch mit Regisseur Martin Farkas und der Psychoanalytikerin Vera Brüsewitz); Mo, 9. 4., 21.15 Uhr; Fr, 16. 4., 17 Uhr, Hamburg, Metropolis

So, 8. 4., 18 Uhr (mit Regisseur Martin Farkas); Mo, 9. 4., bis Mi, 11. 4., 20.45 Uhr, Ludwigslust, Luna-Filmtheater