Die drahtlose Revolution

Immer mehr Menschen nutzen eine neue Technik, um an einem Ort ihrer Wahl ins Internet zu gehen - im Café, im Freibad, in der U-Bahn. Besonders begehrt sind dabei die „Hotspots“ genannten Orte, an denen man sich kostenlos ins Netz wählen kann

VON DIETER GRÖNLING

Mittwochs gibt es keine Musik. Kein DarkSpaceLyrikRock, kein Neo-Lectric, kein Funk `n` Roll und auch kein Mystical Jazz. Mittwochs wird gelötet. C-Base, die abgestürzte Raumstation unter Berlins Mitte, stellt nun schon seit mehr als 2 Jahren an jedem Mittwoch ihre Räume zum „Wavelöten“ zur Verfügung. Gelötet werden Antennen.

Im Dauerworkshop zum Eigenbau von Wavelan-Richtantennen haben auch Anfänger eine Chance. Für sie gibt es am jeweils ersten Termin im Monat eine Einführung. Mit den speziellen Antennen lassen sich Datentransfers per Funk-Ethernet bis zu mehreren Kilometern aufbauen. Zum Einsatz kommt diesmal der verzinkte und deshalb rostbeständige Blumenübertopf „Beta“ von Ikea mit 14 Zentimetern Durchmesser. Der kostet nur 1,50 Euro und verspricht, quer an einen Mast montiert mit der im Inneren befestigten Stabantenne, eine gute Richtwirkung. Das erhöht die Reichweite.

Kaufen wäre zwar einfacher, führt oft auch zu besseren Ergebnissen, aber trotz drastisch gesunkener Preise für WLan-Equipment aller Art schwören viele immer noch aufs Selbermachen - nicht zuletzt wegen der persönlichen Kontakte, die man dabei knüpft. Da werden Erfahrungen per „Face Mail“ ausgetauscht - Nachrichten ganz ungewohnt von Angesicht zu Angesicht. „Mehr als 1.000 User sind inzwischen beim Berliner freifunk.net registriert, die meisten wohnen in Friedrichshain und Mitte“, berichtet Jürgen Neumann, der die bundesweite Freifunk-Initiative bereits im Herbst 2002 angestoßen hat. Wie viele davon tatsächlich einen unverschlüsselten und für alle offenen Hotspot betreiben, weiß niemand.

Die drahtlosen Zugangspunkte zum Internet sind zwar auf Karten verzeichnet, die auf diversen Webseiten bereitgehalten werden - aber die sind ungenau und fast immer veraltet. Karten sind auch nicht wirklich nötig: Überall dort, wo es Freifunker und ähnlich gesinnte Zeitgenossen gibt, ist mit etwas Geduld ein drahtloser Internet-Zugang zu finden.

Auf Starbuck-Cafés, AOL-Stationen und andere kommerzielle Anbieter kann dabei verzichtet werden. Sogar das aufwändige „War Driving“, das Herumfahren mit aufgeklapptem Laptop zum Aufspüren von Funknetzen, ist aus der Mode gekommen. Heute gibt es Sniffer - preiswerte Geräte von der Größe eines Schweizer Taschenmessers, die anzeigen, ob ein offenes Netz vorhanden ist. Und die Zugänge von Freifunkern sind immer offen - das ist durchaus beabsichtigt.

Ein wirklich freies Bürgernetz soll entstehen, ein Netz, bei dem die Leute mehr wollen als bloß Webseiten absurfen und Musik oder Videos saugen. Nachbarschaftshilfe, Hardware-Tauschbörsen und mehr - in den internen Foren wird das bereits ganz pragmatisch realisiert.

Auch technisch sind die Freifunker ganz weit vorn: Mit moderner Mesh-Technik und OLSR, einem raffinierten Übertragungsprotokoll, werden die einzelnen Maschen des drahtlosen Netzes so miteinander verknüpft, dass es praktisch nichts ausmacht, wenn mal ein Knoten durch einen Hardwaredefekt ausfällt. Dann suchen sich die Nachbarknoten ganz automatisch eine andere Route. Das funktioniert inzwischen so zuverlässig, dass nur noch wenige fest verdrahtete DSL-Verbindungen für den Kontakt zur Außenwelt nötig sind.

Angefangen hat alles mit einem Fehler der Telekom. Die verlegte nach der Wende im Ostteil Berlins jede Menge Glasfaserkabel - mit dem Ziel, ISDN zügig auszubauen. Ein paar Jahre später wurde DSL erfunden, und das funktioniert nur mit dem guten alten Kupferkabel. Also gab es in einigen Bezirken anfangs kaum DSL-Anschlüsse, und die Telekom musste neu verkabeln.

Per preiswerter WLan-Technik ist es möglich, sich unverkabelt und durch Wände hindurch und sogar über mehrere Häuser hinweg den Netzzugang und die damit verbundenen Kosten zu teilen. Der Verein WaveLan Berlin e.V. begann, an einem möglichst flächendeckenden drahtlosen Netz zu basteln, bei dem weite Strecken mit Richtantennen überbrückt werden. Und das Projekt Berlin Backbone entstand, ein selbstverwaltetes Netz aus untereinander verbundenen Kultureinrichtungen.

Seit kurzem ist auch der Club Yaam (Young and African Arts Market) Teil des Netzwerkes, der Livestream von der Party wurde ins Netz übertragen.

Die Vernetzung entsteht weitgehend unter dem so genannten „PicoPeeringAgreement“, einem Grundsatzabkommen der globalen Bewegung für freie, drahtlose Bürgernetze.

Die beteiligten Kulturstätten sollen helfen, als Knotenpunkt miteinander vernetzte lokale Netze in der Nachbarschaft aufzubauen. Auf diese Weise soll ein kostenloses stadtweites WLan-Netz entstehen.

Das freie und drahtlose Netz gibt es nicht nur in den Berliner Avantgarde-Bezirken. Längst basteln auch auf dem flachen Land findige Leute an der Vernetzung ganzer Gemeinden.

Beispiel Vallstedt: In dem Dorf zwischen Peine und Braunschweig sind inzwischen 21 Häuser per Antenne mit „Vallstedt-Networks“ verbunden. Und anders als in den Großstädten sind die Teilnehmer nicht mehr unbedingt die ganz jungen User. Auch gibt es darunter kaum echte PC-Freaks, „gesundes Halbwissen“ reicht völlig. Bernd Hagemann, die treibende Kraft hinter allem, bedauert das ein bisschen. Auch er baut die Antennen grundsätzlich selbst. Für seine erste WLan-Richtantenne benutzte er eine Butterdose vom Flohmarkt. Der Metallboden diente als Reflektor, und der mit Silikon abgedichtete Plexiglasdeckel schützte die Innereien vor Witterung. Heute kombiniert er Antenne und Access Point in einem Gehäuse: „Diese Kombination nenne ich Beamer. Sie vereinfacht die Montage und bietet gute Reichweiten.“

Für jedermann offen wie bei den Freifunkern ist das Vallstedter Netz freilich nicht. Benutzer müssen sich mit einem Passwort anmelden, zudem sind die Funkdaten durch eine starke WEP-Verschlüsselung abgesichert. Den Vallstedtern geht es erst mal um die DSL-Kosten: Drei Anschlüsse für 21 Haushalte mit insgesamt 35 Rechnern, das macht die Sache preiswert.

Jeder kann jeden über Funk erreichen, zudem gibts auf zwei internen Servern Seiten mit aktuellen Infos, den Ortswetterbericht, das Forum für Informationsaustausch sowie kostenlose E-Mail-Adressen für alle Teilnehmer. Die User haben jeweils einen fünf Gigabyte großen persönlichen Speicherbereich für die Sicherung ihrer privaten Daten, und nachts gleichen die beiden Server ihre Datenbestände per WLan automatisch quer über den Ort ab.

Das Schöne am WLan: Es ist völlig legal. Es verstößt gegen keine Telekommunikationsverordnung und keine Vorschrift zum Betrieb von Sendeeanlagen. Jeder darf einen Access Point aufstellen und einen Hotspot betreiben oder den Rechner mit einer WLan-Funkkarte ausrüsten. Der dafür vorgesehene Frequenzbereich (2,4 GHz) ist für jedermann freigegeben, man muss bei selbst gebauten Antennen nur darauf achten, dass die erlaubte Sendeleistung nicht überschritten wird. Anders als beim Mobilfunk, wo die UMTS-Frequenzen für viele Milliarden vom Staat versteigert wurden, sind die WLan-Frequenzen lizenz- und damit für alle kostenfrei.