Hate it or love it

DAS SCHLAGLOCH von RENÉE ZUCKER

Diese Kandidatin zu hassen will mir nicht gelingen. Eher tut sie mir wahnsinnig leid

Obwohl der Dalai Lama strikt dagegen ist, finde ich eine tägliche Prise Hass gar nicht schlecht. Ja, ich finde sogar, man sollte sich wochen- oder monatsweise eine Person auswählen, auf die man allen Unmut konzentrieren kann. Kaum abgeworfen, beschäftigt einen der Hass dann nämlich gar nicht mehr.

Folgte man dagegen den Überzeugungen des Dalai Lama, wonach Negativität in Gedanken, Worten und Werken sehr schädlich ist, fräße sich der gestoppte Hass hin und her durchs Innenleben und würde, weil er keinen Ausgang findet, als Frust hockenbleiben und uns eben sehr hässlich in Gedanken,Worten und Werken zurücklassen.

Das wollen wir nicht. Ich jedenfalls nicht, deshalb suche ich mir in unregelmäßigen Abständen jemanden aus und küre dann das Hassobjekt des Jahres.

Der heißeste Anwärter ist immer der jeweils aktuelle. Die anderen sind ja sofort nach Auswurf vergessen. Wenn man gerade keinen zur Hand hat, bietet sich immer George W. Bush an.

Für 2005 wird die Wahl allerdings schwer fallen. Es kommen einige in Frage. Zurzeit habe ich Herrn Jörges vorgesehen. Ein Phänotyp, bei dem sehr gut zu beobachten ist, wie sich jemand, der sich schon fast mit der eigenen Mittelmäßigkeit abgefunden zu haben schien, noch mal mit Hilfe des Fernsehens von der eigenen Bedeutung überzeugen ließ. Als stellvertretender Chefredakteur einer bunten Illustrierten ist er nicht wirklich wichtig, stellt auch nicht wirklich was Schlimmes an, aber er steht für alles, was die Kombination von Zeitgeist und Journaille so unerträglich macht. Ein kleinbürgerlicher, hämischer Ans-Bein-Pinkler, der den Umschwung früh gewittert hat, sich zeitgleich mit seiner Kanzlerkandidatin umfrisieren und umstylen ließ, um pünktlich zum Machtwechsel in den einladend gepuderten Darmausgang der neuen Regierung zu kriechen.

Ja, nicht nur bei „Katrina“, auch im Wahlkampf kommt mancherlei Unschönes am Menschen zutage. Das liegt vielleicht daran, dass Schönheit und Glück naturgemäß immer nur Ausnahmezustände sein können. In diesen Tagen hingegen können wir die Regel von Eitelkeit, Bigotterie, Phrasendrescherei und Angepasstheit unter Meinungsmachern erleben, wie es heutzutage unter dem Oberbegriff „Geschmeidigkeit“ zusammengefasst und von jenen gefordert wird, die erfolgreich sein wollen.

Dagegen stinkt sogar meine andere Kandidatin Claudia Roth ab. Obwohl sie mindestens so fernsehgeil wie der Illustriertenkläffer ist und alles verkörpert, was an den Grünen lächerlich, altbacken und hysterisch daherkommt. Sie weiß, dass man ohne professionelle Verlogenheit nirgendwohin kommt und man sich ab einem gewissen Alter entweder für Intellektuelle oder dolle Olle entscheiden muss.

Sie hat ihre Wahl getroffen. Zukünftig werden wir sie noch öfter in Schlagerrückschausendungen oder Quizshows erleben dürfen. Und während sich die einen auf den Moment der Machtübernahme vorbereiten und die anderen die Möglichkeiten der Zeit danach ausloten, fragt sich unsereiner, wohin mit all den plötzlich hochkommenden Gefühlen, von denen man gar nicht wusste, dass man sie hat.

Je näher die Wahl rückt, desto unheimlicher kommt sie einem vor. Und umso dringlicher scheint es auf einmal, in einer Kabine seine Kreuzchen zu machen. Meine türkische Leyla-Freundin darf jedoch nicht mehr wählen, weil ihr der deutsche Pass weggenommen wurde. Unerwartet, am meisten für sie selbst, trifft es sie hart. Vor zwei Wochen fand sie die Auswahl im Parteienmenü inakzeptabel, nun ist sie angesteckt vom Richtungswahlentscheidungsfieber. Und sie kann nicht mal behaupten, es sei die Schuld der CDU.

Mein Freund Schultz, der immer auf den Grünen rumhackt, will plötzlich auch wählen, weiß aber nicht, wer sein grüner Abgeordneter ist, um zu entscheiden, ob er seine Stimme aufteilt oder beide Kreuzchen grün macht. Wetten, nächstens wird wieder überall erklärt, wie es sich mit Erst- und Zweitstimme verhält.

Schlingensief hat schon vor einem Monat erklärt, dass er des Kanzlers dicke Eier nicht mehr ertragen kann, aber im Krankheitsfall nicht die Kandidatin als Schwester am Krankenbett haben wollte, weil sie ihm nicht mitfühlend genug sei, während die Autorin Thea Dorn in der Tatsache, dass neuerdings so viele Frauen über Politisches im Feuilleton schreiben dürfen, schon eine Auswirkung der weiblichen Kanzlerkandidatur vermutet.

Wäre der Kanzler schwul, würde man Rosa von Praunheim einladen, über seine Reden zu schreiben

Diese Annahme zeugt allerdings von einer rührenden Unkenntnis des journalistischen Schlicht-Opportunismus. Wäre der Kanzler schwul, würde man Rosa von Praunheim einladen, über seine letzte Bundestagsrede zu schreiben, und wenn eine Frau gewählt werden soll, fragt der Pawlow’sche Redakteur eben eine andere oder gleich mehrere Frauen, was sie davon halten. Mit einer veränderten Haltung gegenüber Frauen hat das wohl weniger zu tun. Eher damit, dass Medienangestellte immer auf das Nächstliegende kommen.

Es gibt noch einen anderen Grund für ein Hass-Plädoyer. Die zunächst gespielte, dann immer mehr internalisierte Unberührtheit der letzten Jahre hat uns zu Zombies gemacht. In einem Film über die CDU-Kandidatin hat die Journalistin Evelyn Roll etwas zu ihrem Gesichtsausdruck, den sie das „ dumme Pokerface“ nannte, gesagt. Es sei das Gesicht, das vermutlich das kleine Mädchen in der Schule aufgesetzt habe, wenn die Lehrer fragten, was denn die Familie am Vorabend im Fernsehen geguckt habe – um rauszukriegen, wo West-Fernsehn geguckt wurde. Und dies sei das Überlebensgesicht geworden: Lippen zusammen, Mundwinkel runter, ich sage nicht, was ich weiß. Im Westen haben wir (und sie jetzt auch) gelernt, dabei die Mundwinkel nach oben zu bewegen und es lächeln zu nennen. Aber es ist die gleiche Absicht – den anderen nicht wissen zu lassen. Das große Hassobjekt Bush ist ein Meister darin. Wenn auch verspätet, so weiß er doch haargenau das passende Gesicht zur Situation. Zuletzt, als er nicht aufhören wollte, die beiden schwarzen Mädchen zu umarmen, bis es auch der langsamste Fotograf im Kasten hatte und man schon dachte, seine Oma und sein Hund sind ebenfalls in den Fluten geblieben.

Hier wäre das nicht so doll vonnöten. Hier reicht schon, wenn ein schwäbischer Friseur vermeintlich eine Frisur hinkriegt und ein Pantomime Körpersprachenpsychologisches faselt, was der letzte Laie schon seit der 4. Klasse weiß und weshalb die Kandidatin auf den Plakaten immer mit zwei ausgestreckten Armen zu sehen ist. Wir sollen denken: Sie packt es an – mit beiden Händen. Diese Kandidatin zu hassen will mir nicht gelingen. Eher tut sie mir leid, wofür es bestimmt keinen Grund gibt. Wenn ich sie wäre, würde ich mir wahnsinnig leid dafür tun, so gegen meine Natur leben zu müssen. Aber wenn man noch nicht mal den Amtierenden trotz dicker Eier noch die Kandidatin wegen Mangel an Krankenschwesterwärme hassen kann, dann bleibt wirklich nur noch Herr Jörges übrig. Und wem der nichts sagt, der nimmt einfach Claudia Roth.

Ich wünschte, Wolfgang Neuss würde noch leben und eine erhellend befremdliche Sichtweise über die Situation äußern. Er würde uns aus diesem Sog befreien, dass es hier um etwas Existenzielles ginge. Aber weil er tot ist, bleibt nur eine seiner Vermutungen, die immer stimmt: „Stell dir vor es geht und keiner kriegt’s hin.“