Auf wilder Jagd

Worum ging’s noch mal beim Krautrock? Eigentlich war dieser Genrebegriff seit jeher missverständlich. Denn Krautrock war von Beginn an vor allem eins: Anti-Kraut, weg von Deutschen, vom Heimatlied, Aufbruch Richtung Welt und Weltmusik. Die Wilde Jagd, das Projekt von Sebastian Lee Philipp und Ralf Beck, gehört zum Besten, was in dieser Richtung zuletzt gekommen ist – und ihr Ansatz unterstreicht diese Ambivalenz. Das ursprünglich aus Düsseldorf stammende Duo hat sich ganz der am Rhein so starken Musiktradition verschrieben, debütierte vor drei Jahren und legt nun mit „Uhrwald Orange“ ein neues Album vor. Die beiden haben inzwischen eine neue Arbeitsteilung: Philipp schreibt die Songs, Beck unterstützt vor allem beim Produzieren. Den „Urwald“, die Herkunft der Musik aus der Natur und aus dem Rituellen, hört man auf diesem Album deutlich. Nachdem es sehr repetitiv und hypnotisch beginnt, folgt das Album danach ganz der Offenheit der ersten Kraut-Generation für Stile aus aller Welt: Mittelalterlich-religiöse Musik klingt an, europäische, arabische und afrikanische Folklore, es sind georgische Chöre zu hören, bei den Synthesizer-dominierten Tracks schlägt dann die Sympathie für Minimal Music etwas mehr durch – man könnte noch ewig weiter so aufzählen.

Dazu kommen Texte, die auf wundersam kryptische Art und Weise mit Lyriktraditionen genauso zu spielen scheinen, wie sie ironisch mit deutscher Musikgeschichte umgehen: „Und wie oft sie zu ihm rennt/ weil er ihre Leiden kennt/ dass ein Herz, das sie gekannt/ in ihr keine Heimat fand/ ihre Augen blau/ wie der Enzian/ ihre Haut so/ kalt wie Eis/ dieses Eis zerrann zu Tau im Gras/ weil sie kein Genügen fand“, dichtet Philipp in „Ginsterblut“ – einer Ballade, die im Songwriting von europäischen wie von östlicheren Gitarrenspielarten geprägt ist. „Uhrwald Orange“ ist ein Album, aus dem vom Clubgänger bis zum Rammstein-Fan jeder etwas ziehen kann. Mich persönlich haben die Stücke mit den sich ständig wiederholenden Patterns – etwa „Flederboy“ und „Säuregäule“ (geile Songtitel auch) – am meisten angesprochen. Da hat man 15 beziehungsweise 10 Minuten Instrumentalmusik, die einen tranceartig sediert. In dieser Trance stellt man fest: Der Wilde-Jagd-Kosmos, er ist weit und groß. Und großartig. Jens Uthoff

Die Wilde Jagd: „Uhrwald Orange“ (Bureau B/Indigo) erscheint am 6. April