Sein oder Nichtsein

Allen Gegenstimmen zum Trotz: New Orleans wird wohl wieder aufgebaut. Das Gesicht der Stadt wird sich für immer verändern

VON MICHAEL STRECK

Noch sind die Leichen nicht geborgen und kaum beginnen die ersten Wasser aus der Stadt abzufließen, ist die Debatte um die Zukunft von New Orleans entbrannt. Präsident Bush zweifelt nicht, dass die „großartige Stadt wieder florieren wird“. Sein Parteifreund Dennis Hastert dagegen findet es sinnlos, sie an gleicher, so verwundbarer Stelle wieder aufzubauen. Diese Radikalität entspricht nicht gerade der amerikanischen Mentalität, immer wieder stoisch den Elementen zu trotzen und neuen Technologien zu vertrauen.

Sicher sind sich vor allem Ökonomen, dass die städtische Infrastruktur wie Hafen, Brücken, Dämme, Versorgungsleitungen und Verwaltungsgebäude wieder auferstehen werden. Nicht wegen Jazz oder Mardi Gras, sondern wegen ihrer wirtschaftlichen Bedeutung. „Es gibt ein nationales Gebot, ihre Struktur wiederherzustellen“, glaubt Bernard Weinstein, Direktor des Center for Economic Development an der University of North Texas. Die angesiedelten Industriezweige – Hafen, Öl und Chemie – seien lebenswichtig für die gesamte Volkswirtschaft und könnten nicht aufgegeben oder einfach verlagert werden.

Unklar und strittig ist jedoch, was mit den ausgedehnten Wohnsiedlungen geschieht, die überflutet und wo nach Schätzungen 350.000 Häuser zerstört worden sind. Ob, wo und wie sollen sie neu errichtet werden? Jene Stadtviertel, wo vor allem Arme und untere Einkommensgruppen leben, aber auch solche, die der Stadt ihren unverwechselbaren Charakter gaben. „Dieses New Orleans ist ruiniert. Es wird nie wieder wie früher sein“, meint Charles Harper vom American Institute of Architects in Washington. Stadtplaner empfinden es als besonders tragisch, dass New Orleans, das im US-Vergleich mit den höchsten Anteil alteingesessener Bewohner – rund 80 Prozent – aufwies, deren Leben untrennbar verbunden war mit der Kultur der Stadt und die sich nicht zuletzt dadurch so sehr von anderen Metropolen in den USA unterschied.

Ironischerweise blieben ausgerechnet die Lieblingsorte der Touristen weitgehend intakt. Das „French Quarter“ überlebte die Katastrophe als Insel inmitten einer sonst versunkenen Landschaft, da es einst auf der höchsten Stelle in der ansonsten weit unter dem Meeresspiegel liegenden Stadt errichtet wurde. Es wieder herauszuputzen dürfte relativ unproblematisch sein.

Doch manche sorgen sich, es könnte zu einer Hollywood-Kulisse verkommen, einem Potemkin’schen Dorf, dass hauptsächlich die Bedürfnisse der Tourismusindustrie befriedigen wird. New Orleans wäre jedoch nicht die erste amerikanische Stadt, die nach einer Naturkatastrophe fast vollständig wieder aufgebaut wurde und ihren Charakter dabei nicht verlor. Chicago brannte 1871 nieder, San Francisco wurde 1906 durch ein Erdbeben verwüstet. Beide entstanden und erfanden sich neu, ohne die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Das ist die Herausforderung, vor der New Orleans nun steht. Der Aufbau macht daher nur Sinn, wenn strenge Bauvorschriften berücksichtigt und moderne Technologien eingesetzt werden, wie zum Beispiel Häuser, die auf Stelzen stehen oder schwimmen können.

Architekten und Planer fürchten allerdings einen „quick fix“. Zu groß sei der soziale Druck, da die Einwohner zurückdrängen werden. Ihnen rasch ein neues Zuhause zu geben, sei ein verständlicher Wunsch. Die Versuchung „schnell und billig“ ist auch psychologisch verlockend. Politiker können so die anfangs schmerzlich vermisste Tatkraft demonstrieren. Um dies zu vermeiden, wollen Stadtplaner unbedingt die Einwohner beim Wiederaufbau mit einbeziehen. „Nur so gibt es eine Chance auf einen vitalen Neubeginn“, sagt Harper.

Trotz der Herkulesaufgabe geben sich vor allem Einwohner und Liebhaber der Stadt optimistisch und all jene, die glauben, New Orleans ziehe seinen Reiz mehr aus seiner Atmosphäre und weniger aus architektonischen Meisterwerken, von denen es ohnehin nur einige gibt. Gegen die Haltung, dass gerade eine Stimmung schwer zu restaurieren sei, argumentiert James Carville, CNN-Kommentator und Südstaatenkind. „Niemand hat schließlich vergessen, wie man Saxofon spielt, kocht, schreibt oder einfach nur eine gute Zeit hat.“