Zebra frisst Löwe

Handball-Rekordmeister THW Kiel hat die Bundesliga- Siegesserie der Rhein-Neckar Löwen beendet und meldet sich im Kampf um die Europapokalplätze zurück

Auf dem Weg zurück zu den guten alten Zeiten: Patrick Wiencek vom THW Foto: Frank Molter/dpa

Von Christian Görtzen

Plötzlich war es wie in der guten, alten Zeit. Die Zuschauer in der ehemaligen Ostseehalle hatten sich schon Minuten vor der Schlusssirene von ihren Plätzen erhoben und schlugen mit Wonne im Takt der Zehntausend mit dem zusammengerollten Hallenheft in die Handfläche. Und kurz darauf tanzten die „Zebras“. Es war ja auch ein fulminanter Sieg, der dem deutschen Handball-Rekordmeister THW Kiel am Sonnabend gelungen ist. 27:22 (17:9) gegen den Titelverteidiger und Bundesliga-Spitzenreiter Rhein-Neckar Löwen. Krise? War da was?

Doch. Durchaus. So genussvoll für die Kieler der Moment war, so unschön anzusehen ist das Gesamtbild. Dem ruhmreichen Klub droht aufgrund einer holprigen Saison weiterhin erstmals seit mehr als zwei Jahrzehnten ein Jahr ohne Europacup. Letztmals nur Zuschauer waren die Schleswig-Holsteiner in der Serie 1993/94, nachdem sie die vorangegangene Spielzeit auf Rang acht abgeschlossen hatten.

Hatten sich die Kieler in den vergangenen Jahren stets für den bedeutendsten Europacup, die Champions League, qualifizieren können, wird es diesmal selbst mit der Teilnahme am nachrangigen EHF-Cup schwierig. Vierter müssten die „Zebras“ am Ende werden, dem Platz hecheln sie hinterher. „Dass es nicht die Champions League wird, ist klar. Aber wir wollen unseren Fans den Europapokal bieten. Das ist auch finanziell extrem wichtig für den Verein“, sagte Trainer Alfred Gislason.

Wobei, eine zweite Abfahrt Richtung Europa gäbe es noch, aber es ist ein steiniger Weg mit vielen Schlaglöchern. Der THW müsste in dieser Saison mal eben die Champions League gewinnen und dann darauf hoffen, dass der europäische Verband EHF ihm eine Wildcard, ein Freilos für die Teilnahme, schenkt. Es hinge vom Gutdünken der EHF ab.

Das Achtelfinal-Hinspiel gegen den ungarischen Vizemeister Pick Szeged haben die Norddeutschen zwar zu Hause mit 29:22 ähnlich glanzvoll gewonnen wie jetzt gegen die Löwen. Aber selbst wenn der Sieben-Tore-Vorsprung zum Weiterkommen reichen sollte, wäre der Gedanke an den Titel kühn. Denn die Favoriten heißen FC Barcelona, Paris Saint-Germain, MKB Veszprem (Ungarn) oder Titelverteidiger Vardar Skopje (Mazedonien) . Kurzum: In Kiel droht eine Zeitenwende. Dem THW, dem durch die furiosen Fußballer von Holstein Kiel in der Nachbarschaft ein großer Konkurrent um Sponsoren erwachsen ist, wird durch die verpasste Teilnahme an der Champions League mehr als eine Million Euro an Einnahmen fehlen.

Beim Verein wissen sie, dass es schwieriger wird. „Na klar, wir werden dann wahrscheinlich eine Delle kriegen im wirtschaftlichen Bereich, aber wir werden sie überstehen“, sagte der THW-Aufsichtsratsvorsitzende Reinhard Ziegenbein zu NDR Info. Er gab sich dennoch zuversichtlich: „Wir werden dann nicht mehr über die sprudelnden Einnahmen der Champions League verfügen können, aber wir sind sicher, dass wir auch andere Einnahmemöglichkeiten generieren können.“ Ziegenbein führte auch aus, welche das sein werden. „Wir haben Angebote auch aus dem Ausland, Spiele zu tätigen, die wir bislang nicht wahrgenommen haben wegen der Belastung.“ Es wäre ein Hauch von Harlem Globetrotters. Das berühmte Basketball-Team aus den USA nimmt zwar anders als Kiel nicht am sportlichen Wettbewerb teil, doch die Truppe tingelt durch die Welt und kommt so zu Einnahmen. Und der THW ist eine internationale Marke im Handball.

Ziegenbein beeilte sich, den Fans die Befürchtungen zu nehmen, dass es zu Verkäufen von herausragenden Spielern wie etwa Domagoj Duvnjak oder dem dänischen Nationaltorwart Niklas Landin kommen könnte. „Deswegen werden wir uns von keinem Spieler trennen, in der sportlichen Qualität werden wir nicht die Stellschrauben drehen müssen“, versicherte er. Das aber bleibt abzuwarten: Der dänische Kreisläufer und Defensivspezialist Rene Toft Hansen wechselt im Sommer nach Veszprem. Weitere Abgänge könnten folgen.