Nachtschicht gegen Merkel

Ausflug in Dortmunder Betriebe: DGB protestiert gegen Steuern auf Nachtarbeitszuschläge

„Zuschläge sind sehr wichtig, um Mitarbeiter zu motivieren“

AUS DORTMUND GESA SCHÖLGENS

Der Dortmunder Bahnhof liegt im Dunklen. Züge ruhen still in ihren Gleisbetten, keine Spur mehr von der Hektik des Tages. Doch während die eine Hälfte der Stadt längst schläft, fängt die Arbeit von Mike Lüllwitz erst richtig an. In der Werkstatt der DB Regionalbahn schraubt, flickt und schweißt der Mechaniker im Wettlauf mit der Zeit: Bis zum Morgen müssen alle Fahrzeuge einsatzbereit stehen. „Mein toter Punkt kommt meistens nach der Pause“, erzählt der 30-Jährige. Seinem Körper falle der ständige Wechsel zwischen Tag- und Nachtschicht schwer. Das Mechaniker-Team ist noch jung, doch die Folgen der nächtlichen Plackerei sind in den bleichen, frühzeitig gealterten Gesichtern abzulesen. Viele klagen über Schlafstörungen und Konzentrationsprobleme. Eine kleine Entschädigung für Mike und seine Kollegen sind die steuerfreien Zuschläge für Nachtarbeiter, in Mikes Fall rund 2.000 Euro pro Jahr.

Mike Lüllwitz ist ein Paradebeispiel für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Er befürchtet, dass die Zuschläge bei einem Wahlsieg der CDU wegfallen würden: Kanzlerkandidatin Angela Merkel will auch auf Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit Steuern erheben. Zusätzlich sollen für die Zuschläge künftig Sozialabgaben gezahlt werden. Mit den Einnahmen sollen Belastungen durch die geplante Kopfpauschale finanziert werden. Gewinnt die CDU, erleiden Schichtarbeiter erhebliche Einbußen.

In der gestrigen „Nachtschicht“ besuchten Mitglieder der Gewerkschaft Betriebe in Dortmund, um sich ein Bild von den Arbeitsbedingungen zu machen. „Durch die Nacht- und Schichtarbeit wird die Gesundheit massiv beeinträchtigt“, so Eberhard Weber, DGB-Vorsitzender für das Östliche Ruhrgebiet.

Besonders hart würden die Kürzungen Stahlarbeiter bei Thyssen Krupp treffen. Schichtmalocher in der Dortmunder Westfalenhütte bekämen durch besteuerte Zuschläge monatlich etwa 300 Euro weniger, rechnet Betriebsratschef Hartmut Schink vor. „Das ist ein massiver Eingriff in den Lohn“, schimpft Schink. Im Kaltwalzwerk fertigen die Arbeiter Stahlbleche für die Automobilindustrie – 24 Stunden am Tag, bis zu 2.000 Tonnen pro Nacht. Funken sprühen, wenn die großen Bleche geschweißt werden, es stinkt nach Maschinenöl, der Krach ist nur mit Ohrenschützern erträglich. Im heißen Salzsäurebad wird der Stahl gebeizt, die Arbeiter kontrollieren im grellen Licht der Neonröhren die Schweißnähte. „Für die Gesundheit sind die Dämpfe gar nicht gut“, so Nachtarbeiter Manfred Bendowski. Der Stress mache dem Körper zu schaffen. Oft falle auch die Kaffeepause aus. „Mein Familienleben ist auf die Schichtarbeit eingestellt“, so der 54-Jährige. Seine Kinder seien zum Glück erwachsen. Für jüngere Kollegen sei Schichtarbeit noch schwieriger, da sie kaum Zeit für ihre Familie hätten. Sogar an Heiligabend wird im Stahlwerk rangeklotzt.

Auch Unternehmen kritisieren die geplante Besteuerung der Zuschläge. „Sie sind sehr wichtig, um Mitarbeiter zu motivieren“, so Bettina Bruns, Geschäftsführerin der Großbäckerei Grobe. Es sei heute ohnehin schwer, qualifizierte Kräfte zu finden. „Eine Besteuerung der Zuschläge kann nicht im Sinne der Unternehmen sein“, sagt Bruns. Die Geschäftsführerin weiß, wovon sie spricht: In den Bäckereien wird hauptsächlich nachts gearbeitet. Schon um Mitternacht duftet es in der Backstube nach frischem Hefeteig. Zwischen Öfen und Gärschränken werden Laugenbrezeln und die Hälfte aller Brote noch von Hand geformt – in einem rasenden Tempo. Etwa 3.500 Brote backen die Mitarbeiter jede Nacht, beliefert werden Filialen in ganz Nordrhein-Westfalen

Für die Gewerkschaften stand schon vor der Nachtschicht fest: Die Nachtarbeiter leisten einen großen Dienst an der Allgemeinheit. Bundesweit arbeitet heute die Hälfte der Arbeitnehmer im Schichtdienst. Der Anteil flexibler Arbeitszeit wächst laut einer Arbeitszeitstudie von 2002 beständig weiter. Angela Merkel schlägt vor, Gewerkschaften und Arbeitgeber müssten alle Zuschläge neu regeln, um finanzielle Einbußen auszugleichen. „Aber diese Verluste kann man nicht einfach durch höhere Zuschläge ausgleichen, das ist illusorisch“, so Manfred Sträter, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. Die Gewerkschaften müssten so teilweise Lohnerhöhungen bis zu 18 Prozent aushandeln. Zwar hat der Gewerkschaftsbund die von der CDU angedachte Anhebung der Steuerfreibeträge nicht in seine Berechnungen einbezogen. „Aber bislang kennt auch noch keiner das neue Modell genau“, so Sträter. Man könne davon ausgehen, dass bei der Steuerbefreiung alle gleich behandelt und Schichtarbeiter nicht entsprechend entschädigt würden.