berliner szenen
: Feuchtigkeit ist mit im Spiel

An einem Montagmorgen gehe ich zum Schreiben in eine Dönerbude. Am Nebentisch diskutieren drei Frauen in einer Mischung aus einer mir unbekannten Sprache und Deutsch. Ich verstehe nur: „Ratatatam, Bildungssystem, ratatatam, nix Chancengleichheit.“ Ein Mann kommt auf meinen Tisch zu und ruft: „Wenn ich dich so sehe, muss ich heulen!“ Verwundert blicke ich auf: Mich sprechen oft fremde Menschen an. Weinen aber musste bei meinem Anblick bislang noch niemand. Er sagt: „Ich darf doch!“, setzt sich zu mir, streicht über meinen Laptop und sagt: „Ich hatte den gleichen. Seit gestern geht er nicht mehr an.“

Mitfühlend frage ich: „Sind die Daten gesichert?“ Er erklärt: „Eben nicht. Alles weg. Und im Laden sagen sie, da sei Feuchtigkeit mit im Spiel. Reparatur oder Datenrettung kosten mehr als ein neuer. Ich bin ruiniert.“ Mir fällt nichts Aufbauendes ein. Er fährt auch so einfach fort: „Ich habe gerade erst mit Übersetzungen angefangen. Jetzt war alles umsonst.“ Er beginnt lautlos zu weinen. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich kann ja schlecht einen Fremden umarmen. Er schluchzt: „Ich bin über fünfzig. Ich kriege doch nix anderes mehr. Die meisten finden ja schon dreißig alt. Wenn ich morgen nicht liefere, kann ich das Übersetzen knicken.“

Er holt ein Bier aus dem Kühlschrank, öffnet es mit den Zähnen und fragt: „Hast du vielleicht einen Job für mich?“ Ich schüttle bedauernd den Kopf. Er murmelt: „Na ja, fragen kostet ja nix. Das letzte Mal, dass ich hier jemanden kennengelernt habe, hat der mir was vermittelt. Die Firma hat mich aber leider nur ein Jahr beschäftigt. Dann hätten sie mich fest übernehmen müssen.“ Er sieht, dass ich auf mein Word-Dokument schiele und meint: „Ich störe dich mal nicht weiter. Sonst verlierst du am Ende auch noch deinen Job.“ Eva-Lena Lörzer