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Der Bachelor genügt immer seltener

Als die deutsche Hochschullandschaft sich auf die einheitlichen Abschlüsse des Bologna-Prozesses umstellte, versprach man den Studierenden einen schnelleren Einstieg in den Beruf. 20 Jahre später zeigt sich: Davon sind sie weit entfernt

Von Elisabeth Nöfer

Nur einer von fünf Universitäts-Bachelor-Absolventen steigt in den Beruf ein – an den Fachhochschulen tut das dagegen mehr als die Hälfte. Das hat eine Befragung unter 16.000 Absolventen des Jahrgangs 2013 durch das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) ergeben. Eigentlich hatte man hierzulande große Hoffnungen an das Bachelorstudium geknüpft: In nur drei Jahren an der Uni oder FH sollte es den Studierenden zu einer „für den europäischen Arbeitsmarkt relevanten Qualifikationsebene“ verhelfen; so steht es in der Bologna-Deklaration der europäischen Bildungsminister, formuliert im Jahr 1998.

Seit dem Beschluss der Studienreform sind in Deutschland die alten, vier- bis fünfjährigen Diplom- und Magister-Studiengänge fast vollständig auf Bachelor und Master umgestellt. „Ein Kurzstudium ist nicht einmal geeignet, ein wissenschaftliches Fach fundiert zu studieren, geschweige denn in der Erweiterung dessen eine Berufsausbildung durchzuführen“, sagt allerdings Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg. „Für den Bereich der Universitäten muss insoweit der Bologna-Prozess als gescheitert betrachtet werden.“

Unternehmen vermissen Kompetenz

Besonders Unternehmen im Dienstleistungssektor bemängeln fehlende Praxiskenntnisse oder auch soziale Kompetenzen der Nachwuchskräfte mit Bachelor-Abschluss. Das zeigt eine Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Nur 16 Prozent der 2.000 Betriebe, die 2015 dabei befragt wurden, halten Bachelor-Absolventen für gut auf den Arbeitsmarkt vorbereitet.

Die Sicht auf den noch recht neuen Abschluss variiert dabei von Branche zu Branche: Bei den Ingenieuren etwa sei der Bachelor in forschungs- und entwicklungsintensiven Unternehmen eher nicht ausreichend, sagt Peter Golinski, Bereichsleiter Bildung beim Arbeitgeberverband Nordmetall sowie dem Allgemeinen Verband der Wirtschaft Nord-deutschlands. In solchen Betrieben werden Golinski zufolge Master-Absolventen gesucht, deshalb studieren etwa die Hälfte der dual Studierenden an der TU Hamburg-Harburg weiter. Bessere Chancen, in eine Anstellung übernommen zu werden, hätten Bachelor-Kandidaten aber zum Beispiel an der dualen Fachhochschule „Nordakademie“ – dort strebten daher auch nur zehn bis zwanzig Prozent den Master-Abschluss an.

Frank Müller ist an der Universität Bremen, Fach Kulturwissenschaften, für die Berufsorientierung zuständig. Der Universitätslektor weiß aus eigener Erfahrung, „dass mindestens 60 Prozent der Absolventinnen vorhaben, ein Master-Studium zu machen“ – gerade im Kulturbereich wünschten die Arbeitgeber häufig diesen Abschluss. Im Zuge der Bologna-Reform habe man mit 20 bis 30 Prozent der Bachelor-Absolventen gerechnet, die den Master als Weiterbildung für eine akademische Karriere nutzen würden, sagt Müller. Die Befragten einer Allensbach-Umfrage im Auftrag des Reemtsma-Begabtenförderungswerks gaben hingegen bessere Karriere- und Verdienstmöglichkeiten als häufigsten Grund für ein Master-Studium an: Während Master-Absolventen mit einem Bruttomonatsgehalt von rund 3.858 Euro rechnen können, ist das Einkommen von 25- bis 34-jährigen Vollzeitbeschäftigten mit Bachelor laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) um 600 Euro geringer.

Auch dabei gibt es Unterschiede, so bieten technische Fächer gern schon mit einem ersten Hochschulabschluss ein höheres Einkommen als die Geistes- und Sozialwissenschaften. Der Blick auf ihren Ausbildungs-Tarifvertrag war auch für Anna Feldmann (Name geändert) „ein Anstoß zu sagen, ich studiere nochmal“. Als gelernte Medienkauffrau hätte die Bremerin weniger Gehalt als ihre Kollegen mit Hochschulabschluss bekommen – für die gleiche Tätigkeit.

Also begann die 25-Jährige einen Master in Medienwissenschaften. Danach rechnet sie für „fünf Jahre Hochschule“ mit „2.000 Euro netto im Monat, das sind 600 Euro mehr“ als nur mit der Ausbildung. Neben dem Studium arbeitet Feldmann 20 Stunden pro Woche in einem Unternehmen, Marketing. Ein Seminar wie Filmanalyse brauche sie in der Berufspraxis nicht, sagt sie.

Vielleicht auch deshalb tut sich die Studentin schwer mit den forschungsorientierten Pflichtseminaren. „Es sollte eine stärkere Differenzierung geben“, findet sie, „zwischen denjenigen, die in die Forschung wollen und denjenigen, die Praxis wollen.“

Mehr Praxis, bitte

Bachelor-Absolventen könnten die Erwartungen von kleineren Unternehmen oft deshalb nicht erfüllen, weil ihnen Berufspraxis fehle, sagt Volker Tschirch, Hauptgeschäftsführer des AGA-Unternehmensverbandes für Handel und Dienstleistung. Helfen könnten „verstärkt Pflichtpraktika oder echte Praxissemester“, sagt er, sowie „Kurse, die gemeinsam mit Unternehmen angeboten werden“. Pflichtpraktika stellten heute schon eher den Normalfall da, sagt der Bildungsforscher Bernhard Christoph vom IAB. Und Verbände wie Nordmetall und AGV Nord beteiligten sich in entsprechenden Hochschulgremien, um „die Lehre noch besser und unternehmensnäher zu machen“, so Golinski.

Eng gestrickte Studiengänge

Das sei unproblematisch, solange die Betriebe und ihre Bedürfnisse nicht die Konzeptionierung von Studiengängen dominierten, sagt Sonja Bolenius, Referatsleiterin Hochschulen im Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Grundsätzlich fördere der DGB die Integration von Praxisanteilen in das Studium. Bolenius kritisiert aber, dass viele Bachelor-Studiengänge „zu eng gestrickt“ seien – dabei müsse das Studium doch auf ein breites Berufsfeld vorbereiten. Mehr Praxis zu integrieren, hält Bolenius beispielsweise dadurch für möglich, dass man vom Bachelor in nur sechs Semestern abrücke. So ist an Fachhochschulen der Bachelor schon jetzt auf sieben Semester angelegt.

Die Hochschulrektorenkonferenz erklärt jedoch, dass die Forderung nach einem stärkeren Praxisbezug im Widerspruch zur wissenschaftsorientierten Ausrichtung der Universitäten stehe. „Wir offerieren Bildungsangebote, machen aber keine Berufsausbildung im engeren Sinne“, sagt Thomas Hoffmeister, Konrektor für Studium und Lehre an der Universität Bremen. Man bilde nicht nur Wissenschaftler aus, sondern kritische Persönlichkeiten. Erwartungen, dass Absolventen passgenau in Profilwünsche der Wirtschaft passen, hält er für unrealistisch.

Die Wirtschaft lobt duale Studiengänge mit mehr Praxisbezug.„Wer schnell im Beruf durchstarten will, ist durch eine duale Ausbildung oder ein duales Studium vielfach besser aufgestellt“, sagt AGV-Bildungsexperte Tschirch. Vor allem für Studien­abbrecher sei das eine Alternative: „Jeder Dritte schmeißt hin.“ Tatsächlich hat sich die Zahl der dual Studierenden zwischen 2004 und 2016 mehr als verdoppelt, besagen Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung.

An den Hochschulen müssen sich Studierende die Praxiserfahrung oft nachträglich holen, sofern ihre Studienordnungen derlei nicht vorschreiben. Zusätzliche Qualifizierung durch bestenfalls gering bezahlte Praktika ist besonders in den Geisteswissenschaften die Regel. Die Förderung durch Bafög endet meist mit der Regelstudienzeit, für freiwillige Praktika unter drei Monaten greift der Mindestlohn nicht. Viele nutzen deshalb die Zeit zwischen Bachelor und Master fürs Sammeln von Erfahrungen. Auch deshalb sind 78 Prozent der Unternehmen laut DIHK mit Master-Absolventen zufrieden.