Vom Kollektiv überzeugt

LÄDEN Gemeinsame Entscheidungen und gleiches Gehalt für alle: Unter diesen Vorgaben gründeten sich in den 70er-Jahren linke Buchläden. Einige von ihnen gibt es heute noch

Die Buchladen-Kollektive entstanden in den 1970er-Jahren aus einer politischen Motivation heraus

VON BIRK GRÜLING

Ein rot gestrichenes Eckhaus, dessen Schaufenster mit Büchern überladen sind: Das ist Ameis Buchecke in Hildesheim. Der Laden sieht gemütlich aus, aber dass es sich um einen kollektiv organisierten Buchladen handelt, sieht man auf den ersten Blick nicht.

„Wir treffen wichtige Entscheidungen im Kollektiv, dazu gibt es alle zwei Wochen eine Teamsitzung. Außerdem verdienen alle Mitarbeiter das gleiche Geld“, erklärt Dirk Lütge, einer der beiden Geschäftsführer. Auf dieses System setzen die Gründer schon über 35 Jahre.

Seinen Ursprung hat Ameis Buchecke in der Anti-Atomkraftbewegung der späten 1970er-Jahre. „Wir wollten damals einen politischen Buchladen nach Hildesheim bringen und so aktiv die Gesellschaft gestalten“, erinnert er sich. Mit ähnlicher Intention und beflügelt von der Bürgerbewegung entstanden damals viele Buchladen-Kollektive.

Die Zeit überdauerten jedoch die wenigsten: Kaum ein Dutzend Buchladen-Kollektive gibt es noch in Norddeutschland. Der wirtschaftliche Druck machte auf Dauer neue Strukturen nötig. „Die ersten fünf Jahre haben wir noch mit Ehrenamtlichen gearbeitet, aber irgendwann sind wir zu professionelleren Strukturen und dem Kollektiv übergegangen“, sagt Lütge.

Auch die strenge linkspolitische Ausrichtung wäre heute kaum noch tragbar. „Wir führen immer noch viel sozialwissenschaftliche Literatur und Bücher zu aktuellen politischen Debatten. Anderseits haben wir uns stark geöffnet, auch für ein gutbürgerliches Publikum.“

Ähnliches ist auch knapp 40 Kilometer weiter in Hannover zu hören. „Wir verkaufen heute viel mehr Belletristik, wenn auch unabhängig von Bestseller-Listen“, sagt Anna Renate Willms von der Buchhandlung Annabee. Ihr Laden in Linden entstand 1976 aus der Frauenbewegung und verkaufte zehn Jahre lang nur Bücher von linken Autorinnen. Heute hat man sich geöffnet, wenn auch mit Grenzen. „Wenn eine Kundin ‚Shades of Grey‘ haben will, bestellen wir das natürlich. Auf den Büchertisch kommt uns sowas aber nicht.“

Gleich geblieben ist die Überzeugung zum Kollektiv. „Wir entscheiden wöchentlich über Dinge wie die Schaufenstergestaltung oder Unterstützung von politischen Veranstaltungen und tauschen uns über neue Literatur aus“, sagt sie.

In beiden Läden wirkt das Kollektiv auch geschäftsfördernd. „Die Möglichkeit, jede Entwicklung mitzugestalten, ist eine große Motivation für unsere Mitarbeiter. Auch wenn natürlich der Weg zur Konsensentscheidung manchmal mühsam sein kann“, sagt Lütge. „Die hohe Identifikation mit dem Laden führt auch zu einer hohen Identifikation mit den Büchern. Ich glaube, bei uns wird deutlich intensiver beraten als bei einer Kette“, sagt Willms.

Eine Eigenschaft, die möglicherweise sogar eine Überlebensgrundlage darstellt. „Zu uns kommen die Kunden mit dem Wunsch, Bücher zu bestimmten Themen zu entdecken oder zu verschenken. Sie suchen dementsprechend gezielt die Beratung“, sagt Willms.

Auch wenn beide Läden noch gut überleben können, glaubt keiner an eine Renaissance der Kollektive. „Die Proteste organisieren sich heute ganz anders. Die Menschen sind auch nicht mehr so stark politisch. Wir sind dagegen mit unserem Laden gealtert“, sagt Lütge.