wortwechsel: Gefängnisalltag: Rütteln diese Berichte uns wach?
Zwei haarsträubende Texte von politischen Gefangenen in Russland und in Syrien. Welchem Blickwinkel folgen wir in der Berichterstattung? Und wem folgt Jens Spahn?
Unschuldsvermutung?
„Anschlag von Salisbury: Sie ziehen alle Register“, taz vom 20. 3. 17
Liebe taz, jetzt muss ich es mal loswerden: in eurer Berichterstattung über Russland – nicht in Kommentaren – sind viel zu viele Vermutungen, die leichtfertig wiedergegeben werden. Es könnte, müsste und so weiter, und das in einer Art, dass fast jeder Absatz nach einer Betrachtung von der anderen Seite schreit.
Ihr könntet ja mal ganz allgemeine Fragen stellen: Warum sollte Russland zu so einem unglücklichen Zeitpunkt angesichts der Wahl und der Fußball-WM ein so hohes Risiko eingehen? Wer produziert so schlampig Giftgas, das Hunderte, wenn nicht Tausende töten soll – doch in England bei ausgerechnet zwei Menschen versagt? Warum gilt die Unschuldsvermutung nicht mehr?
Was sind 2.900 Berichte zu Verstößen gegen das Wahlrecht von einer Organisation wert, die Geld aus dem Land erhält, das regelmäßig Militärübungen vor der Haustür abhält und damit zur größten Bedrohung zählt?
All das im Verhältnis zu 142 Millionen Menschen im Land? Was wollen die? Haben die alle resigniert und notgedrungen Putin gewählt, wie wir glauben sollen. Sind das alles deprimierte Alkoholiker? Das glaube ich nicht. Selbst wenn alle Vorwürfe gegen Russland und letztlich gegen Putin zutreffen, das Bild, das ihr – und leider viele andere Zeitungen auch – von diesem Land liefert, kann’s nicht sein.
Karlheinz Günster, Haag
Knast I: Russland
„Wie man den russischen Knast überlebt“, taz vom 17./18. 3. 17
Juchhu, jetzt auch in der taz: vier Seiten werden einem ehemaligen, wegen Wirtschaftskriminalität verurteiltem russischen Manager eingeräumt, damit er sein neues Buch vorstellen kann. Dafür wird sich im noblen Hotel getroffen, weil Herr Perewersin in der Nähe wohnt. Und nun wird uns auf drei Seiten die Leidensgeschichte erzählt und damit ein Buch beworben, in dem er seine subjektiven Erinnerungen aus dem Knast/Lager erzählt. Ihr gebt einem ehemaligen Direktor von Yukos so eine große Plattform! Er war verantwortlich für die Abteilung Auslandsschulden und engster Mitarbeiter des Konzernbesitzers Chodorkowski, der wegen Betrug, Geldwäsche und Steuerhinterziehung angeklagt und verurteilt wurde. Dieses Urteil ist selbst vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof grundsätzlich gebilligt worden.
Warum in Ihrem Artikel von einem politischen Gefangenen Perewersin gesprochen wird, ist mir unklar – der ist wegen eines nachgewiesenen Wirtschaftsdeliktes verurteilt worden und nicht wegen politischer Vergehen. Christine Friedrich, Vierlinden
Knast II: Syrien
„Aus dem Tagebuch eines heimlichen Beobachters“, taz vom 15. 3. 17
Ich bin 16 Jahre alt und ich schreibe diesen Leserbrief, weil mich der Artikel von Mustafa Khalifa über seine schrecklichen Erlebnisse im syrischen Militärgefängnis sehr schwer beeindruckt hat. Selten ist mir ein Text so sehr unter die Haut gefahren wie dieser, hat mich so erschüttert. Nie habe ich so detaillierte und schrecklich genaue Beschreibungen von einem Ort der Angst und Folter in der Jetztzeit gelesen. Mein allergrößtes Lob gilt dem Autor für diesen unverblümten, schockierenden Einblick in seine Zeit im Militärgefängnis. Genau für solche Dinge sind die Medien, ist vor allem die taz geschaffen worden – um wachzurütteln. Um die Menschen zu sensibilisieren für das Unrecht, das in der Welt geschieht.
Und das hat dieser Text geschafft!
Jonathan Auer, Utting am Ammersee
„Den Bezug zur Wirklichkeit verloren“, taz vom 13. 3. 17
Der Spahn und Hartz4
Lieber Herr Spahn, Sie meinen, dass Arbeitslosengeld-Empfänger nicht arm sind. Während Sie sich auf das Sofa setzen, Ihr Smart TV anschalten, mit Ihrem neuen iPhone einen Tweet ablassen und Wein trinken, müssen die Arbeitslosengeld-Empfänger die Pfandflaschen sammeln und die letzten 15 Euro, die vom Geld zurückgeblieben sind, für ihr Essen ausgeben. Manche Familien leben von Hartz IV, andere alleine, jedoch ist das Geld für alle zu knapp fürs Leben.
Ich weiß nicht, lieber Herr Spahn, was reich für Sie bedeutet, für mich sind Sie im Herzen sehr arm. An Ihrer Stelle hätte ich vorher nachgedacht, bevor ich solch einen Spruch abgelassen hätte. Sie sollten glücklich sein, monatlich Tausende Euros in der Tasche zu haben, aber Ihre Ignoranz kennt keine Scham. Wissen Sie, ich muss jeden Monat mit 15 Euro auskommen, weil das Geld mir nicht reicht, was ich vom Jobcenter bekomme, ich muss schauen, wie ich Schulsachen kaufen kann.
Es tut weh, anderen anzusehen, wie sie neue Sachen haben, und du nur alte hast, die im Müll landen. Ja, ich bin ein Flüchtling und habe draußen keinen neuen Audi und ein Haus mit Schwimmpool, das ist die Wahrheit. Auch Flüchtlinge kriegen das gleiche Geld und nicht mehr, nicht weniger. Sie könnten mit dem Geld von Ihnen für hundert Euros eine Hartz-IV-Familie unterstützen, müssen Sie aber nicht. Trinken Sie schön die teure Weinflasche aus, bevor Ihnen ein Hartz-IV-Empfänger die Flasche wegnimmt.
Aras Bacho, Bad Salzuflen
Schneidig selbstgefällig
Jens Spahn ist ein so typischer Rechter, dass es wehtut. Kaum in einem Amt, von dem er sich endlich den Respekt verspricht, den er schon immer verdient zu haben glaubt, aber wohl nie recht bekommen hat, quillt es ihm auch schon aus allen Knopflöchern. Von oben herab, schneidig, mit der Selbstgefälligkeit, die nur einer haben kann, der damit seinen Minderwertigkeitskomplex übertüncht, spuckt er sofort auf alle, die er tief im Herzen immer verachtet oder beneidet hat. Dabei ist ihm kein Vergleich zu primitiv, keine Behauptung zu blöde. Genau der Typ, den man in der Politik fürchten muss und der der AfD bisher zum Glück noch fehlt. Niko Feistle, Hamburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen