Geteilte Freude

INTEGRATION Maßgeschneidert: Vernetzte Car- und Bike-Sharing-Konzepte werden den Individualverkehr in den Städten ablösen

Nur die App fehlt noch, die alle zur Verfügung stehenden Verkehrsmittel vergleicht

VON MIRKO HEINEMANN

Die Ziffern zeigen 8.46 Uhr, der ICE fährt pünktlich in den Berliner Hauptbahnhof ein. Ich trete aus dem Bahnhofsgebäude – und habe die Wahl: Will ich mit der U-Bahn weiterfahren, nehme ich ein Fahrrad oder ein Auto? Ich aktiviere die App auf meinem Smartphone und gebe mein Reiseziel ein. Flugs baut sich ein Stadtplan auf, neben dem eine Liste mit verschiedenen Reisemöglichkeiten erscheint. Die U-Bahn wäre am schnellsten, ich kann aber wählen: In Fußweite stehen mehrere Autos von Carsharing-Anbietern, gleich daneben eine Verleihstation für Fahrräder. Ich entscheide mich angesichts meines 30 Kilo-Koffers fürs Auto. Ein Chip auf meinem Führerschein aktiviert den Sensor hinter der Frontscheibe, die Türschlösser öffnen sich. Jetzt muss ich nur noch mein Passwort auf dem Display am Armaturenbrett eingeben, schon kann ich den Wagen starten.

Zukunftsmusik ist das nur insoweit, als es die App noch nicht gibt, die alle zur Verfügung stehenden Verkehrsmittel vergleichen kann. Car- und Bike-Sharing-Angebote in der beschriebenen Form sind hingegen in Berlin längst vorhanden. Die populärsten sind DriveNow, ein Gemeinschaftsprojekt von BMW und dem Autovermieter Sixt und Car2Go von der Daimler AG; beides Carsharing-Angebote für den Stadtbürger, der schnell von einem Ort zum anderen möchte. Die anfallenden Gebühren werden von der Kreditkarte abgebucht, die Kosten liegen bei kurzen Wegen etwa im Bereich dessen, was auch ein BVG-Ticket kosten würde. Parkgebühren fallen nicht an; sie werden pauschal vom Carsharing-Unternehmen an die Stadt entrichtet.

Die Hersteller werden zu Mobilitätsdienstleistern

Auch Radler können auf Verleihsysteme zugreifen – mehr als 70 Fahrradvermietungen soll es laut Senat in Berlin geben, mit bis zu 8.000 Mieträdern. Die großen sind „Call a Bike“, das Bike-Sharing-Angebot der Deutschen Bahn, und das Franchise-Unternehmen Nextbike.

„Integrierte Mobilität“, die Nutzung verschiedener, aufeinander abgestimmter Verkehrsmittel, löst den klassischen Individualverkehr zunehmend ab. Getrieben wird die Entwicklung durch mehrere Faktoren: Die Anschaffung eines eigenen Autos lohnt sich für viele Städter nicht mehr; das Fahrzeug steht sowieso die meiste Zeit herum und verbrennt sinnlos Geld. Auch als Statussymbol ist es auf dem Weg in die Sackgasse. Laut Zukunftsinstitut Kelkheim verknüpfen nur noch drei von zehn Personen das Auto mit ihrem Lebensgefühl. Den Autoherstellern ist das längst klar; kein Wunder, dass sie in Sachen Carsharing ganz vorn dabei sind. Sie erweitern damit sukzessive ihr Geschäftsmodell – vom Fahrzeughersteller zum Anbieter von Mobilitätsleistungen.

Das mobile Internet spielt dabei eine entscheidende Rolle: Integrierte Mobilität ist ohne das Smartphone undenkbar. Ein Beispiel ist moovel, ein Pilotprojekt der Daimler AG, das seit dem Sommer in Stuttgart am Start ist. Wer sich die entsprechende App auf sein iPhone lädt, muss nur noch sein Reiseziel eingeben, und die App berechnet verschiedene Verkehrsmittel und zeigt den schnellsten Weg an – gleichwertig und angeblich „ideologiefrei“, so moovel. Daimlers Carsharing-Service car2go soll integriert werden, auch soll es bald möglich sein, via moovel online ein Ticket für den ÖPNV zu kaufen. Zudem soll das System für Autofahrer die spontane Mitfahrersuche per Smartphone möglich machen – ähnlich wie beim Karlsruher Start-up Pockettaxi.

Eine solche App würde sich in der Großstadt zum IT-Wirbelsturm ausweiten. Deshalb wird man in Berlin wohl mit am längsten auf ein solches System warten müssen. Anfangen könnte man etwa so: In Düsseldorf können Inhaber des Monatstickets „Mobil in Düsseldorf“ alle Busse und Bahnen im Düsseldorfer Stadtgebiet nutzen. In den 74,90 Euro enthalten sind außerdem die Nutzung eines Autos von car2go für 90 Minuten im Monat und 240 Minuten pro Tag ein Fahrrad von Nextbike.

„Das geht schon mal in die Richtung unseres Wunschziels“, erklärt Anja Smetanin, Sprecherin des Verkehrsclubs VCD. „Idealerweise sollte noch die Deutsche Bahn dabei sein.“ Ihre Vision: „Die Bahncard sollte sich zur Mobilitätskarte entwickeln.“ Carsharing, Bike-Sharing, Öffentlicher Nahverkehr und die Mitfahrzentralen könnten integriert werden – das wäre „Integrierte Mobilität“ aus einem Guss. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, nicht zuletzt wegen der zerfaserten Landschaft der Car- und Bike-Sharing-Angebote. Erste Kooperationen wurden aber bereits gebildet: Nutzer des Carsharing-Anbieters DriveNow haben in Berlin Zugriff auf die Fahrräder von Nextbike.

Viele kurze Wege: Das Velo spielt eine wichtige Rolle

In einer Zukunft der integrierten Mobilität werden Fahrräder eine wichtige Rolle spielen. Die Hälfte aller Wege, die in Deutschland mit dem Auto zurückgelegt werden, ist kürzer als 6 Kilometer – eine ideale Fahrradentfernung. Berlin setzt deshalb auf den Ausbau des Radwegenetzes, bereits 15 Prozent der Wege werden hier mit dem Rad zurückgelegt. Die neue Radverkehrsstrategie sieht das schrittweise Anheben des Fahrradetats von derzeit 5,5 Millionen Euro auf 17 Millionen Euro vor. Auch im „Nationalen Radverkehrsplan“ ist die magische Zahl von 15 Prozent Radverkehr als Zielmarke für 2020 verankert. Wie dieses Ziel mit einer Halbierung der Mittel für den Ausbau der Radwege an Bundesstraßen im kommenden Jahr zu vereinbaren sein soll, bleibt allerdings unklar.

Eines jedoch ist klar: Die Mobilität der Zukunft wird sich vor allem in Städten abspielen. Ländliche Regionen werden zusehends abgehängt. Hier bleibt das Auto Fortbewegungsmittel Nummer eins – der Geländewagen für den Einkauf auch künftig Alltag.