Lars Penning
Filme aus dem Archiv –
frisch gesichtet
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Mangelnde psychologische Motivation der Figuren gehörte nicht zu den Sorgen des US-Regisseurs Samuel Fuller, schließlich kam es ihm darauf an, mit seinen Werken einen physischen Eindruck zu hinterlassen. In „Pickup On South Street“ (1953) beginnt die Liebesgeschichte mit einem Faustschlag: Während Candy (Jean Peters) gerade die Baracke des Taschendiebs Skip McCoy (Richard Widmark) durchsucht, der ihr in der U-Bahn das Portemonnaie mit einem darin befindlichen Mikrofilm entwendet hat, kommt der Wohnungsinhaber plötzlich nach Hause. Im Dunkeln schlägt McCoy mit aller Wucht zu. Nur Sekunden später liegen sich die Kontrahenten – nicht ohne Hintergedanken – bereits in den Armen. Dass jeder jeden belügt und verrät, erscheint im Film noir als Standard, ungewöhnlich ist in „Pickup On South Street“ jedoch der Blick auf die Ethik der Kriminellen. McCoy und die alte Informantin Moe (Thelma Ritter) sind Profis, die ihre Situation akzeptieren, wie sie ist: Bei ihnen gehört Verrat zum Beruf, und sie haben auch keine Träume von einem besseren Leben (OF, 18. 3., 17. 30 Uhr, Babylon Mitte).

Wie so viele von Luis Buñuels Filmen kreist auch „Viri­diana“ (1961) um erotische Obsessionen und die Heuchelei von Kirche und Bourgeoisie. Als sich die Klosternovizin Viridiana gewissen nekrophilen Anwandlungen ihres reichen Onkels entzieht, begeht dieser Selbstmord. Die junge Frau richtet auf seinem Gut ein Armenasyl ein, doch die Bettler nutzen die Gelegenheit, um eine wüste Orgie zu feiern. Mit bösem Witz inszeniert Buñuel sie wie Jesus und die Jünger auf Leonardos „Abendmahl“-Fresko. Was bleibt, ist die profane Realität: die auf den Boden der Tatsachen geholte Viridiana beim Kartenspiel zu Rock-’n’-Roll-Musik. „Viri­diana“ gehört zu den Lieblingsfilmen von Andreas Dresen; der Regisseur wird sich vor der Vorstellung mit Knut Elstermann darüber unterhalten (20. 3., 19.30 Uhr, Filmmuseum Potsdam).

Das vermutlich lakonischste Roadmovie aller Zeiten: In Aki Kaurismäkis „Tatjana“ (1994) fahren zwei Männer mit einem schwarzen Kombi durch Finnland; ihre Reise führt von Bar zu Bar. Sie trinken, rauchen und schweigen sich an. Höhepunkt der einstweiligen Erkenntnis: In Lappland gibt es zu viele Rentiere. Doch dann sitzen irgendwann zwei Anhalterinnen im Auto, die zur Fähre nach Tallinn wollen. Man trinkt, raucht und schweigt sich weiterhin an. Doch es gibt Anzeichen vorsichtig aufkeimender Zuneigung, die aber äußerst subtil gestaltet ist: Einmal trägt Reino Tatjanas Koffer, einmal legt sie den Kopf an seine Schulter. Das hält fürs Leben (OmU, 15. 3., 19.30 Uhr, 17. 3., 20 Uhr, Arsenal).