New Orleans wird zwangsevakuiert

Bürgermeister begründet Schritt mit wachsenden Gesundheitsrisiken. Zusätzlich 40 bis 50 Milliarden Dollar für Wiederaufbau. Forderungen nach dem Rücktritt Verantwortlicher werden lauter. Regierung will ihr eigenes Versagen jetzt selbst untersuchen

VON MICHAEL STRECK

Der Bürgermeister von New Orleans hat die Zwangsevakuierung der Stadt angeordnet. Notfalls mit Gewalt können nun Polizisten und Soldaten die verbleibenden Bewohner aus ihren Häusern herausholen. Ihre Zahl wird auf rund 10.000 geschätzt. Der Schritt wurde mit zunehmenden Gesundheitsrisiken begründet. Nachdem hunderte Flutopfer an einer Magen-Darm-Infektion erkrankten und E-Coli-Bakterien entdeckt wurden, befürchten die Behörden den Ausbruch von Seuchen und Krankheiten. Alle Bürger sollen daher an einen sicheren Ort gebracht werden, um die Aufräumarbeiten abzuwarten. Um die Menschen schneller zu evakuieren und die Suche nach versteckten Einwohnern zu verstärken, entsandte das Pentagon 5.000 Fallschirmjäger nach New Orleans.

Noch keine konkreten Angaben gibt es bislang über die Opferzahlen. Außerhalb der Stadt wurde eine Leichenhalle errichtet, die bis zu 5.000 Tote aufnehmen kann. Ein forensisches Team aus 100 Mitarbeitern soll ab sofort rund um die Uhr die Leichen identifizieren.

Derweil kommen die Arbeiten, New Orleans trocken zu legen, nur schleppend voran. Bis Mittwoch waren drei von 148 Pumpen in Betrieb, um das Wasser in den angrenzenden See Pontchartrain zu leiten. Experten schätzten, dass die Arbeiten bis zu drei Monate dauern könnten. Derzeit sind noch rund 60 Prozent der Stadt überflutet.

Für den Wiederaufbau der verwüsteten Region will die US-Regierung neben den letzte Woche vom Kongress freigegebenen 10,5 Milliarden Dollar an Hilfsgeldern offenbar weitere 40 bis 50 Milliarden kurzfristig bereitstellen. Die Gesamtkosten für Opferhilfe und Schadensbeseitigung schätzt Harry Reid, Fraktionschef der Demokraten im Senat, auf 150 Milliarden Dollar.

Auch der politische Flurschaden ist für das Weiße Haus noch nicht absehbar. Nach der Presse, die seit Beginn der Flut kein gutes Haar am Präsidenten und dessen Krisenmanagement ließ, verschärfte auch die Opposition gegenüber Bush den Ton. Die Menschen in der Unglücksregion seien von zwei Katastrophen heimgesucht worden, sagte die führende Demokratin im Abgeordnetenhaus, Nancy Pelosi. „Zuerst kam der Hurrikan und dann das Versagen der Bundesregierung in einer Zeit großer Not.“ Im Kreuzfeuer der Kritik stehen vor allem das nationale Katastrophenschutzamt Fema und ihr Direktor Michael Brown. Immer mehr Stimmen fordern seinen Kopf. „Er muss gehen“, meint der Miami Herald. Seiner Behörde wird vorgeworfen, mangelhaft vorbereitet gewesen zu sein, zu spät und unkoordiniert reagiert zu haben.

Experten sehen einen Hauptgrund im Versagen in der aktuellen Struktur der Fema. Die einst eigenständige Behörde wurde vor drei Jahren in das neu geschaffene Heimatschutzministerium integriert. Das Wall Street Journal berichtete am Dienstag, wie die Bush-Regierung Fema systematisch Geld und Macht entzog. Dahinter steckt Bushs Philosophie, den Staat weiter zurückzudrängen. Noch wenige Tage vor der Flutkatastrophe soll Behördenchef Michael Chertoff weitere Einschnitte geplant haben. Senatorin Hillary Clinton brachte daher einen Gesetzentwurf ins Parlament ein, den Katastrophenschutz wieder aus dem Superministerium herauszulösen und autonom zu organisieren.

Bush kündigte nun an, die Fehler der zuständigen Behörden zu untersuchen. Als schlechten Scherz empfinden es jedoch viele, dass er persönlich die Überprüfung leiten will. „Die Regierung kann niemals glaubhaft ihr eigenes Versagen prüfen“, schreibt die New York Times. Alle Untersuchungen, die von der Regierung selbst geleitet wurden – siehe Abu Ghraib – wuschen sie am Ende rein. Zur Verantwortung gezogen wurde niemand.