Berlin
calling

Olaf Scholz hat die zerstrittene Hamburger SPD mit harter Hand handlungsfähig gemacht. Ein Bürgermeister der Herzen war er nie. Nun lässt er die Provinz hinter sich, in die er nach eigenem Verständnis sowieso nie gehörte

Auf dem Weg in die erste Reihe: Olaf Scholz vor der CDU-Parteizentrale in Berlin, Februar 2018 Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Von Marco Carini

Seit Freitag ist offiziell, was alle längst wussten: Olaf Scholz gibt sein Amt als Hamburger Bürgermeister ab, ihn zieht es nach Berlin, ins Kabinett Merkel. Damit endet für Hamburgs Sozialdemokraten eine extrem erfolgreiche Ära.

2009 war der einstige Hamburger Innensenator und spätere SPD-Generalsekretär und Bundesarbeitsminister in seine Hamburger Heimat zurückgekehrt. Als neuer Landesvorsitzender galt es, Herkules gleich, einen Dreckstall auszumisten: eine total zerstrittene und mit sich selbst beschäftigte Hamburger SPD, deren parteiinterner Selbstzerfleischungsprozess so weit vorangeschritten war, dass die Zeit ihr eine „Todessehnsucht“ attestierte. Die Urwahl um die SPD-BürgermeisterInnen-Kandidatur musste 2007 abgebrochen werden, nachdem in der sozialdemokratischen Parteizentrale fast 1.000 bereits ausgefüllte Stimmzettel gestohlen worden waren, Bürgerschaftsabgeordnete spielten der Presse gefälschte, angebliche Polizeiunterlagen zu, um andere Abgeordnete in Misskredit zu bringen. In Eimsbüttel riefen Teile der SPD erfolgreich dazu auf, den eigenen Bundestagskandidaten Danial Ilkanipour zu wählen, nachdem dieser mit etwas unfeinen Methoden den vom Kreis- und Landesvorstand bevorzugten Abgeordneten Nils Annen ausgestochen hatte. Die aufeinanderfolgenden Landesvorsitzenden Egloff und Mathias Petersen gestanden, ein „Nichtverhältnis“ zueinander zu haben, kurz: Der SPD-Landesverband drohte im Chaos unterzugehen.

Scholz ließ seiner Antrittsansage „Wer Führung bestellt, bekommt sie auch“ Taten folgen. Er führte den SPD-Landesverband an der kurzen Leine, duldete keinen öffentlichen Widerspruch und keine Flügelkämpfe, eliminierte parteiinternes Problempersonal und brachte eine geschlossen auftretende SPD innerhalb von zwei Jahren wieder auf Regierungskurs. Aus Scholz wurde „König Olaf“.

Die absolute Mehrheit bei der Bürgerschaftswahl – eine kleine politische Sensation – holte Scholz mit der biederen Parole „Hamburg muss wieder ordentlich regiert werden“. Der wenig visionäre Slogan zog nach dem Chaos, das die zerfallende schwarz-grüne Regierung nach dem ungeordneten Abgang von Exbürgermeister Ole von Beust (CDU) hinterließ.

Ordentlich regieren hieß für Scholz: den Menschen nicht allzu viel versprechen, diese Versprechen dann aber halten. Scholz kurbelte den Wohnungsbau massiv an, schaffte die Studien- und Kitagebühren ab und setzte einen Rechtsanspruch für die Kinderbetreuung durch. Nebenbei ordnete er – dank der guten Konjunktur ohne große Mühe – die Hamburger Finanzen und schüttete mit überschaubarem Finanzaufwand die Hamburger Millionengräber Elbphilharmonie und HSH Nordbank zu. Große Projekte, die Hamburg auf Dauer prägen werden, brachte Scholz nicht auf den Weg, sieht man von der Neuen Mitte Altona, dem größten innerstädtischen Neubaugebiet nach der Hafencity, einmal ab.

Doch diese solide Politik reichte aus, um Scholz jahrelang politisch unanfechtbar zu machen. Was immer sie auch versuchte, die Opposition im Hamburger Rathaus bekam kein Bein auf die Erde. Dafür ließen die Hamburger Wahlberechtigen Scholz zweimal scheitern, die einzigen Dämpfer in den ersten sechs Jahren seiner Amtszeit. Des Bürgermeisters Traum, Olympia nach Hamburg zu holen, zerplatzte in einem Referendum, und per Volksentscheid entschieden die Hamburger, gegen den Willen von Scholz, die privatisierten Energienetze zurück in den städtischen Besitz zu holen. Scholz akzeptierte den Bürgerwillen klaglos, setzte ihn ohne Wenn und Aber um, und gewann dadurch an Größe.

Olaf Scholz war für die Hamburger nie der Bürgermeister der Herzen. Er ist keiner der mitreißt, Emotionen hervorruft oder gar begeistert. Scholz ist die personifizierte Selbstkontrolle, auch wenn er in seiner Hamburger Zeit souveräner wurde, und sich zunehmend erlaubte, hinter dem „Scholzomaten“ auch den Menschen durchscheinen zu lassen. Jahrelang hatte sich Scholz verboten, in der Öffentlichkeit herzhaft zu lachen. Der Grund: Wenn der heute 59-jährige seine Lachmuskeln strapaziert, dann kiekst er wie Kermit. Während seiner Hamburger Amtszeit gewann Scholz die Souveränität, diese ganz und gar unstaatsmännischen Ausbrüche nicht mehr zu unterdrücken. Und siehe da: Diese zutiefst menschliche Regung kam beim Publikum gut an.

Trotz dieses Zugeständnisses an sich selbst gilt Scholz noch immer als humorfreie und emotionslose Zone. Unvergessen das „Tagesthemen“-Interview, in dem er den erdrutschartigen SPD-Erfolg bei der Bürgerschaftswahl 2011 mit einer so zerknirschten Miene kommentierte, dass die Moderatorin Caren Mioska irritiert nachfragte, warum er nach so einem grandiosen Sieg so „euphorisch“ sei „wie ein britischer Butler zur ­Teatime“.

Dieser Mangel an Emotion hat den Bürgermeister Scholz nie zu einem Volkstribun werden lassen – gelten die Hamburger allgemein als „dröge“, passte Scholz hervorragend zu seinen Wählern. Er kann nicht mitreißen, verpackt in jede Rede mehr Stanzen als Pointen. Jahrelang mied er Talkshows und erst, seit es ihn wieder stärker nach Berlin drängte, suchte er auch dieses Format. Scholz versteht sich als Pragmatiker, er ist ein Aktenfresser, von dem selbst sein Parteigenosse Johannes Kahrs, der wenig Sympathie für Scholz hegt, sagt, er sei „energisch, hochintelligent, fleißig bis zum Erbrechen“.

Scholz weiß, dass er hochintelligent ist, doch das lässt ihn zur Selbstüberschätzung neigen. Fehler machen nur die anderen. Parteifreunde beschreiben ihn als „allkompetent“ und arrogant zugleich, mit eigenen Fehlleistungen kann Scholz schwer umgehen. Auch beim G20-Gipfel, den er im Alleingang nach Hamburg holte, kam der Hochmut vor dem Fall.

Gelten die Hamburger allgemein als „dröge“, passte Scholz hervorragend zu seinen Wählern

In seinen öffentlichen Äußerungen war der Bürgermeister Scholz immer vorsichtig, abwägend, eher defensiv. In der Vor- und Nachbereitung des Gipfels aber vergaß er diese Tugenden, die ihn so unangreifbar gemacht hatten, und büßte seinen ausgeprägten Instinkt für das richtige Wort zur richtigen Zeit komplett ein. Scholz leistete sich mehr schwere Patzer als in den sechs Amtsjahren zuvor. Ohne Not gab er den Hamburgern eine Sicherheitsgarantie, die er nicht einhalten konnte, ohne Not verglich er im Vorfeld der Veranstaltung die Auswirkungen des Gipfels mit denen eines Hafengeburtstags.

Als die Schanze brannte, sendete er von der Elbphilharmonie aus hilflose Botschaften an die Krawallmacher, doch bitte mit ihrem Treiben aufzuhören, statt sofort selbst an den Ort des Geschehens zu eilen. Sichtlich angefasst von den Gipfelereignissen, setzte Scholz die Fehlerkette auch nach dem Gipfel konsequent fort. Eine Mitschuld am G20-Desaster gab er sich und seinen Planern nicht, die Entschuldigung an die Hamburger ging nur schwer über seine Lippen. Er sprach die massiv aufgetretene Polizei pauschal von jeder Gewalt frei, die ordnete er einseitig der Roten Flora zu. Dem Autonomen Zentrum drohte er mit Konsequenzen, die es bis heute nicht gab, auch weil sich eine aktive Rolle der Flora während der Ausschreitungen im Nachhinein so nicht bestätigte. Mit dem ordentlichen Regieren war es vorbei.

Diese Anfängerfehler und Instinktlosigkeiten rund um den Gipfel, die man von dem Vollprofi Scholz so bislang nicht kannte, ließen seinen Stern in Hamburg sinken. Scholz’Umfragewerte sanken rapide, bei der Bundestagswahl verlor die SPD in Hamburg mehr als in jedem anderen Bundesland. Scholz aber leistete sich weitere Patzer, etwa als er im G20-Ausschuss betonte, er wäre zurückgetreten, wenn es Tote gegeben hätte. Ein Scholz in Normalform hätte gewusst, dass dieser Satz als Bumerang zurückkehrt, weil er sofort die Frage intendiert: Muss es erst Tote geben, damit Scholz zurücktritt?

Nun ist er als Bürgermeister zurücktreten, freiwillig, um den nächsten Karriereschritt zu machen. Dem eigenen Anspruch nach gehört Scholz ohnehin nicht in die Hamburger Provinz und auch im Bund nur in die allererste Reihe. Wenn er einem Sozialdemokraten die Kanzlerschaft zutraut, dann sich selbst.

Scholz hatte bisher immer zwei Standbeine, eins in Hamburg, eins in Berlin. Das wird nicht so bleiben, denn Scholz gibt den Hamburger SPD-Landesvorsitz als zusätzliche Machtbasis ab – an Sozialsenatorin Melanie Leonhard. Ob ihm diese Machtbasis einmal fehlen wird, wird sich zeigen.