Sächsische Bürgerradios von Abschaltung bedroht

FINANZMISERE Der bisherige Gastgeber der drei Sender hat die Kooperation gekündigt. Nun müssten sie die Leitungskosten selbst aufbringen – was utopisch ist

„Es geht um die Grundfrage, wie man eine Gesellschaft gestalten will und ob freie Radios dabei eine Rolle spielen“

ANDREAS MARCH, RADIO BLAU LEIPZIG

Stimulierend waren die Bedingungen für die nichtkommerziellen Bürgerradios in Sachsen noch nie. Nun aber geht es für Radio blau aus Leipzig, coloRadio in Dresden und das Chemnitzer Radio t um alles. Mitte Oktober hat ihnen die Sächsische Gemeinschaftsprogramm GmbH die Kooperationsvereinbarung gekündigt. Das Geflecht von regionalen Privatradios betreibt in Sachsen das Klassik-Jazz-Mixprogramm Apollo Radio. Auf dessen Frequenzen sind die freien Radios 49 Stunden pro Woche zu Gast.

Die Art und Weise, wie es 2004 zu dieser Vereinbarung kam, erklärt auch das gegenwärtige Dilemma. Der lange allein regierenden CDU waren die aufsässigen, teils offen linken Bürgerradios von jeher ein Dorn im Auge. Im sächsischen Privatrundfunkgesetz ist daher eine Förderung aus den Mitteln der Landesmedienanstalt, die diese wiederum aus 2 Prozent Gebührenanteil der Öffentlich-Rechtlichen bezieht, nicht vorgesehen. In Sachsen macht dieser Etat nach Vorabzug der Mitteldeutschen Medienförderung 5,6 Millionen Euro aus. „Wir dürfen nur aus unseren eigenen Verwaltungseinnahmen fördern“, erklärt Martin Deitenbeck, Geschäftsführer der Sächsischen Landesmedienanstalt (SLM). Diese 30.000 Euro seien seit Jahren stets an die Bürgerradios gegangen.

Auch von der im jüngsten Rundfunkstaatsvertrag von 2008 vorgesehenen Möglichkeit einer Förderung nichtkommerziellen Rundfunks macht Sachsen keinen Gebrauch. Der Freistaat setzt vielmehr auf die wesentlich braveren Ausbildungs- und Erprobungskanäle für jedermann. „Es geht um die Grundfrage, wie man eine Gesellschaft gestalten will und ob freie Radios dabei eine Rolle spielen“, sagt Andreas March, Vorstandsvorsitzender von Radio blau. Aus politischen Gründen mussten sich die Nichtkommerziellen lange mit einem Vier-Stunden-Sendefenster in der Woche begnügen.

Ein Ausweg bot sich 2003 ausgerechnet im Deal mit einem Privaten. Als die SLM eine neue Frequenz ausschrieb, wollten die sächsischen Privatradiobetreiber das Eindringen eines Hamburger Konkurrenten verhindern und gründeten Apollo Radio. Die Lizenz, bestätigt Deitenbeck, erhielt das Programm nur unter der Voraussetzung, den Freien das 49-Wochenstunden-Sendefenster einzuräumen. Um die Frequenz zu sichern, zahlte ihnen die Gemeinschaftsprogramm GmbH sogar die Leitungs- und Sendekosten in Höhe von 40.000 Euro.

Diese Konzessionsbereitschaft ist entfallen, seit klar ist, dass die SLM keine analogen Frequenzen mehr ausschreiben wird. Denn ab 2015 soll der terrestrische Hörfunk vollständig digitalisiert werden. Also entledigte sich das stark defizitäre Apollo Radio des Kostenfaktors und kündigte die Vereinbarung. „Die Lizenz für die Freien ist damit nicht entfallen“, betont Deitenbeck. Sie müssten nur die Leitungskosten selbst aufbringen und könnten sogar ohne Mantelprogramm weitersenden – für die ehrenamtlichen Radiomacher eine Utopie. „Die SLM versteckt sich nur hinter dem Gesetzestext“, meint Ralf Kürbis vom Dresdner coloRadio. Der erlaube bei anderer Auslegung sehr wohl eine Förderung. Mit einem „Radioballett“ demonstrierten etwa 80 Anhänger am vergangenen Montag schon vor der SLM in Leipzig. Ein Treffen mit dem Medienrat verlief erfolglos. Auf eine Novelle des Privatrundfunkgesetzes können die Bürgerradios nicht warten. Wird keine Lösung gefunden, droht mit Jahresbeginn 2010 die Abschaltung. MICHAEL BARTSCH, DRESDEN