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Auf dem Acker

Ein Demeter-Betrieb im westpolnischen Juchowo setzt wichtige Impulse zur Belebung des ländlichen Raums

Von Dierk Jensen

Sie ist mutig gegen den Strom geschwommen. Während viele ihrer KommilitonInnen an der Universität in Szczecin im städtischen Umfeld blieben, ging Jolanta Jętkowska nach ihrem Betriebswirtschaftsstudium aufs Land. Und zwar nach Juchowo, in einen kleinen Ort in der Woiwodschaft Westpommern (Zachodniopomorskie). Sie heuerte damals – rund zwei Jahre vor dem EU-Beitritt Polens – bei der anthroposophischen Stanisław-Karłowski-Stiftung an. Mithilfe vielfältiger Unterstützung, unter anderem der Software AG Stiftung von Peter Schnell, versuchte die Stiftung seinerzeit ein ehemaliges Familienlandgut zu einem Demeter-Modellbetrieb zu entwickeln – die Tochter des letzten deutschen Gutsbesitzers, Christa Himmele, hatte das Gut mit 1.900 Hektar Land vom polnischen Staat zurückerworben. Ein mutiges Unterfangen, waren doch Ländereien und Gebäude in einem erschöpften und verfallenen Zustand. „Ich war allein im Büro, als der EU-Beitritt vor der Tür stand“, erinnert sich Jolanta an jene Zeit, in der „auf der polnischen Seite keiner so recht wusste, wie es nach der EU-Mitgliedschaft überhaupt weitergehen sollte. Es gab große Unsicherheiten.“

Mit Forschung und Lehre

Aber es ging weiter. Und Jolanta blieb, bis heute. Nicht ohne Stolz blickt sie auf das, was aus dem einstigen „Projekt“ erwachsen ist: Die Gutsruine Juchowo hat sich zu einem lebendigen Hofkomplex mit zahlreichen Forschungs- und Lehrangeboten entwickelt und ist heute überdies ein beliebter Tagungsort. Er bietet rund 100 Mitarbeitern, darunter vielen in sozialtherapeutischer Betreuung, eine Lebensgrundlage. Das Team bewirtschaftet rund 10 Hektar Gemüsefelder (rote Rüben, Karotten, Salat), 100 Hektar Waldfläche, 1.400 Hektar mit Getreide (Dinkel, Hafer, Roggen, Gerste), 100 Hektar mit Luzerne/Klee und 350 Hektar Weideland, die sich in einer malerischen, leicht hügeligen Seenlandschaft erstrecken. Das Herzstück des Demeter-Betriebs ist die Milchwirtschaft; 360 Kühe in einer Herde von insgesamt 650 Tieren der Rassen Holstein-Friesian und Braun Swiss (Braunvieh) werden, konsequent am Tierwohl orientiert, in großzügigen Viehställen gehalten. Für jede Kuh steht eine Stallfläche von 15 Quadratmetern zur Verfügung, die Liegeboxen sind mit Kompost und Stroh gebettet. Im Sommer grasen die Kühe auf den umliegenden Wiesen.

Monika Liberacka ist die Herdenmanagerin. Sie hat in Ol­sztyn „Produktionstechnik Tier“ studiert und macht ihren Job in Juchowo aus tiefer Überzeugung. „Der Respekt vor den Tieren“, so die 31-Jährige, sei eines der wichtigsten Motive bei der Arbeit mit der Herde, an deren Weiterentwicklung auch Günter Postler von der Europäischen Vereinigung für Naturgemäße Rinderzucht und das Zuchtvorhaben „Kuhfamilien und Natursprungbullen“ beteiligt sind. Im Juni dreht sich auf dem Hof alles um die Heubergung. „Wir bergen jährlich 2.500 Tonnen Heu“, erklärt der auf dem Hof für die Futterbereitstellung und Landbewirtschaftung verantwortliche Krysztof Ostrowich. Überall duftet es, wenn Ladewagen das Heu von den Wiesen zu den großen Lagerschuppen herankarren, wo es eingelagert und nachgetrocknet wird. Heu ist neben selbst gemahlenem Schrot aus eigenem Getreide das wichtigste Futter für die Tiere. Angesichts dieser aufwendigen wie qualitätsorientierten Futterbergung liegt es nahe, dass die Milch aus Juchowo als „Heumilch“ über die Gläserne Molkerei in Deutschland vermarktet wird. In Polen indessen ist die Nachfrage nach Demeter-Produkten noch relativ bescheiden.

Ohnehin gibt es nur sieben Demeter-Betriebe unter den 25.000 ökologisch wirtschaftenden Betrieben in Polen. Dabei gaben gerade Demeter-Akteure wichtige Impulse zum Aufbau einer ökologischen Landbaubewegung im postkommunistischen Polen. Der eigentliche Ursprung der polnischen Demeter-Bewegung geht aber auf Stanisław ­Karłowski zurück, der vor seinem Tod im Jahr 1939 als erster polnischer Hofbesitzer nach anthroposophischen Ideen prakti­zierte und heute der Namensgeber für die Stiftung ist, die in Juchowo und in den benachbarten Dörfern viel bewegt hat.

Das spricht sich herum. So kommen mittlerweile nicht nur Besucher aus der westpommerschen Region, sondern aus ganz Polen und Europa, um sich zu informieren und inspirieren zu lassen. „Im letzten Jahr zählten wir mehr als 2.000 Gäste“, freut sich Jolanta Jętkowska auf der schmucken Außenterrasse vor dem Tagungshaus über den großen Zuspruch. Landwirte, Studenten, Unterstützer der Slow-Food-Szene und viele andere treffen sich hier, beraten, lernen und tagen. Der Ort hat Anziehungskraft, nicht zuletzt auch deshalb, weil eine Jętkowska einst gegen den urbanen Sog schwamm.

Getreide in Lübnitz: Die biologisch-dynamische Landwirtschaft fasst Boden und Pflanze als Einheit auf Foto: Katja Hoffmann/laif