„Wir haben es hier mit einer Trendwende zu tun“

Der Politologe Hajo Funke sieht die SPD dauerhaft im Aufwind. Schröder habe es verstanden, das soziale Profil der Partei zu schärfen. Die Wahl könne noch Überraschungen bringen

taz: Herr Funke, nach einer neuen Umfrage würden Union und FDP zusammen die absolute Mehrheit verlieren und nur noch auf 48 Prozent der Wählerstimmen kommen. War hier das Fernsehduell von Schröder und Merkel ausschlaggebend?

Hajo Funke: Es handelt sich hier um die erste Umfrage, die auch die Stimmung nach dem Fernsehduell einfängt. Man kann das Ergebnis tatsächlich als Trendwende für die SPD betrachten. Das Duell war sehr entscheidend.

Aber ging es dabei tatsächlich um Inhalte, oder konnte Schröder in seiner staatsmännisch-väterlichen Rolle einfach besser punkten?

Ich glaube, dass es hier vor allem um Inhalte geht. Schröder konnte das sozialstaatliche Profil der SPD schärfen. Er bietet eine Politik an, die den Sozialstaat im Gegensatz zur CDU verteidigt. Auf der anderen Seite steht Merkel und eine Politik der Entfesselung der Marktkräfte. Siehe Kirchhof. Merkels Politik würde unser Land für immer verändern – das schreckt die Leute ab. Es ist bemerkenswert, dass das Umfrageplus der SPD vor allem aus einem Rückgang der Zustimmung für Union, FDP und Linkspartei resultiert. Man kann also annehmen, dass es Schröder gelungen ist, neben Fragen der liberalen politischen Kultur und eines außenpolitischen Selbstbewusstseins, soziale Themen erneut glaubwürdig zu vertreten, die den Wählern wichtig sind. Eventuell könnten sich auch enttäuschte ehemalige SPD-Anhänger, die ursprünglich zur Linkspartei tendierten, wieder für die SPD entscheiden.

Neuerdings besetzt Schröder mit seinen Energiepreisreden auch klassische grüne Themen. Müssen die Grünen jetzt fürchten, Stimmen an die SPD verlieren?

Nein. Das zeigt nur, dass eine ökologische Akzentuierung der Politik an Glaubwürdigkeit und Akzeptanz gewonnen hat. Das spricht eher dafür, dass man mit den Grünen und anderen Parteien, die diese Positionen vertreten, weiterhin rechnen muss.

Die neue Umfrage spricht für eine große Koalition …

Wir haben es hier mit einer Trendwende zu tun. Wir müssen uns in Erinnerung rufen, dass die SPD Anfang August noch bei 26 Prozent war. Jetzt hat sie innerhalb von wenigen Tagen um 3 Prozentpunkte zugelegt und liegt bei 34 Prozent. Wir haben noch zehn Tage bis zur Wahl – das ist in diesem kurzen Wahlkampf eine lange Zeit.

Sie glauben also noch an ein rot-grünes Comeback?

Man kann überhaupt nichts ausschließen. Hält der Trend an, kann er sich sogar noch verstärken. Wenn es der SPD gelingt, ihr soziales Profil weiterhin deutlich herauszustellen und klar zu machen, dass sie eine Alternative zu neoliberalen Kräften darstellt, wird sie weiter zulegen. Ich werde mich nicht dazu verführen lassen zu sagen, Schwarz-Gelb hat den Wahlsieg sicher.

INTERVIEW: PHILIPP DUDEK