wortwechsel
: Liebe Genossen,
vielen Dank – das war’s.

War der Mitgliederentscheid der SPD ein demokratisches Paradestück oder demokratie­schädigend? Und galt das Rätesystem nicht mal als linke Hoffnung – auch in China?

Die Ergebnisverkündigung der Auszählung des Mitgliederentscheids im Willy-Brandt-Haus am Sonntag. Endlich fällt eine Entscheidung – und bleibt steh‘n Foto: Hannibal Hanschke/reuters

„Der Mitgliederentscheid der SPD schadet der Demokratie, sagt Christine Landfried“, taz vom 2. 3. 18

Wessen Demokratie?

Christine Landfried sieht in dem SPD-Mitgliederentscheid für oder wider eine neue „Große Koalition“ demokratieschädigendes Verhalten. Nun lässt Landfried keinen Zweifel daran, welchem metaphorischen Himmelskörper die Rolle der Sonne im demokratischen Planetensystem zukommt: dem freien Mandat der frei gewählten Abgeordneten. Und es stimmt, ein imperatives Mandat der SPD-Mitgliedschaft wäre mit einem gänzlich freien Mandat der Parlamentarier kaum vereinbar. Darüber dürfte klagen, wer auch andere Einschränkungen des „freien“ Abgeordnetenmandats wahrnimmt und kritisiert.

Frau Landfried hingegen gibt sich, als wüsste sie nichts über lobbyistische Bindungen und Verpflichtungen zahlreicher Abgeordneter, über die Verquickungen maßgeblicher Teile von Parteiführungen mit Investoreninteressen.

Frau Landfried ist „Senior Fellow“ der Hertie School of Governance. Diese private Hochschule wird, wie sie in ihrer Selbstauskunft schreibt, finanziert von einem „Netzwerk privater Partner, die von unseren Ideen genauso überzeugt sind wie wir“. AbsolventInnen sind in internationalen Großkonzernen gern gesehen. Für würdig Befundene dürften kaum immun sein gegen die etwas abgewandelte Volksredensart: „Wes Ehr ich hab, des Lied ich sing“. Jürgen Kasiske, Hamburg

Mehr Demokratie wagen

Die SPD-Führung hat sich formal und tatsächlich in ihrem Mitgliedervotum korrekt verhalten.

Jedes SPD Mitglied konnte und musste nicht über eine Koalition mitabstimmen, und die SPD-Führung kann, aber muss sich nicht daran halten. Dieser Vorgang stellt eine freiwillige innerparteiliche Selbstbindung dar, die in meinen Augen juristisch völlig einwandfrei ist.

Tatsächlich lud mich unsere SPD-Bundestagsabgeordnete Wiebke Esdar zudem dreimal zu SPD „Vollversammlungen“ ein, wie außerordentlicher SPD-Unter­bezirks­parteitag, SPD-Mitgliedertreffen und selbst im Arbeitskreis sozialdemokratischer Frauen war sie persönlich anwesend, hörte und moderierte höchst kontroverse Diskussionen über Inhalte und Positionen des Koalitionsvertrags. Ich erlebte hier einen politischen Austausch wie seit zwanzig Jahren nicht in der SPD und freue mich über eine Fortsetzung dieses Kurses „Mehr Demokratie wagen“.

Martina Keilbart, Bielefeld

Parteiedemokratie

Wir leben in einer Parteiendemokratie, denn die Kandidaten sind von den Parteimitgliedern auf einer Liste nominiert. Das Wahlvolk hat deshalb keinen Einfluss bei der Kandidatenaufstellung. Das Wahlvolk bekommt von den Parteien auf den Stimmzetteln die ausgewählten Kandidaten für den Bundestag in der Wahlkabine präsentiert. Das ist die zweite Stufe des demokratischen Systems.

Die Regierungsbildung findet erst nach einer Wahl statt, und hier darf man Äpfel nicht mit Birnen vergleichen und sollte die unterschiedlichen Systemebenen nicht durcheinanderwerfen, sondern sie sind in eine richtige Reihenfolge zu bringen. Schließlich und endlich sind auch die unterschiedlichen Parteiwahlprogramme mitgewählt worden. Von einer Gefährdung der Demokratie kann nicht im entferntesten die Rede sein, denn die bisher gewählten Bundestagsabgeordneten können auch bei einer Neuwahl wiedergewählt werden.

Thomas Bartsch-Hauschild, Hamburg

„Wir regieren uns selbst“

„Besser schlecht gelaunt regieren als nicht regieren“, taz vom 5. 3. 18

Liebe tazler, ihr vermisst das Siegergebrüll? Ja, sind wir denn beim Fußball? Im Willy-Brandt-Haus wird man doch jedem im Gesicht angesehen haben, ob er oder sie erleichtert oder enttäuscht war. Alle wussten aber, dass eine andere Entscheidung katastrophale Folgen hätte haben können.

Was macht man, um eine solche Situation beim nächsten Mal zu vermeiden? Nun: Dort, wo die Partei Erneuerung braucht, erneuern! Ab sofort! Das wundert mich seit drei Monaten, seit dem Jamaika-Misslingen: warum verlangen die Jungs unentwegt Neuerungen, sagen aber nicht welche? Meine Freundin, eine kluge Hausfrau, erklärt mir: Die wollen doch personelle Änderungen! Die Jungen wollen selber an die Macht!

Glücklicherweise lese ich heute, dass Kühnert „programmatische“ Änderungen verlangt, also nicht gleich selbst ans Steuer will. Nebenbei: Seit Tausenden von Jahren ließ man in einem geordneten Gemeinwesen die Männer erst ab 40 an die Macht.

Erneuern wollte 2008 auch Andrea Ypsilanti (damals knapp 41). Sie hatte für die Hessen-SPD ein wohl durchdachtes Programm für Umwelt, Bildung und andere Fragen aufgestellt; doch wäre es eine Minderheitsregierung geworden, und sie hätte sich auf die Linken verlassen müssen. Das aber schreckte unter den Genossen einerseits die Altantikommunisten („Ah, da waren doch welche aus der DDR dabei!“), andererseits die Wirtschaftsliberalen auf; Andrea Ypsilanti wurde, trotz entgegengesetzten Parteitagsbeschlusses, von den eigenen Genossen im Stich gelassen.

Jetzt stellt sie ihr jüngstes Buch vor: „Und morgen regieren wir uns selbst“. Erneuerung pur! Die Diskussion geht weiter.

Barbara Höhfeld, Frankfurt am Main

Das Rätesystem in China

„Xi Jinping macht auf Mao“,

taz vom 5. 3. 18

Schon der Titel des Infokastens („Das chinesische Scheinparlament“) ist Unsinn – der Volkskongress will überhaupt kein Parlament sein, sondern das höchste Räteorgan. Auch wenn ich mir keine Illusionen – mehr – über den (un-)demokratischen Charakter des chinesischen Staates mache, diesen Unsinn in der taz hat er nicht verdient: „nicht frei gewählt, sondern (…) von lokalen Volkskongressen“. Das hab ich schon in der Schule zu Adenauers Zeiten „gelernt“: Ein Rätesystem ist undemokratisch, basta! Meint also jetzt auch die taz. Sigbert Helle, Preten