hörbuch
: Frauen-Universen: Rose Ausländer und Volker Kutscher

Mutterland / mein Vaterland ist tot / Sie haben es begraben / im Feuer / Ich lebe / in meinem Mutterland / Wort.“ Dieses Gedicht von Rose Ausländer (1901–1988) ist Teil der Hommage „Wirf deine Angst in die Luft“, die die in Czernowitz in der Bukowina geborene Lyrikerin nun zu ihrem 30. Todestag ehrt. Die Sprecherin Alicia Fassel liest die sprachlich knappen Gedichte der deutschsprachigen Jüdin – sie schrieb mehrere Jahre nicht mehr in der „Sprache der Täter“, sondern auf Englisch – und öffnet durch feine stimmliche Nuancierungen und wohlgesetzte Zäsuren Blick und Ohr für die üppigen Bildwelten, die in jeder Zeile mitschwingen.

In einem anderen Gedicht heißt es: „Schreiben war Leben / Überleben“. Ausländer hat das Ghetto von Czernowitz in einem Kellerversteck überlebt. Der Holocaust ist fest in ihr Œuvre eingeschrieben, aber auch andere biografische Themen wie die Emigration nach Amerika und ihre spätere Staatenlosigkeit haben ihren Platz. Sie reflektiert in ihrer Prosa über den Sinn des Schreibens und ihren eigenen Antrieb dazu, dichtet über die Landschaft der Bukowina, ihren Dichterfreund Paul ­Celan, ihre Mutter, Venedig, sinniert über das Wesen des Gedichts.

Der Komponist Jan Rohlfing hat zu Ausländers Texten musikalische Klangbilder geschaffen, die mal völlig für sich stehen und mal die Lesungen begleiten. Dabei ging er behutsam kommentierend vor, nimmt Zeitkolorit und Themen stilistisch auf. Die Stücke sind klassisch instrumentiert, heraus ragt das Cello von Eva-Susanne Ruoff. Einzig beim Stück „Traum“, das das letzte Gedicht Ausländers flankiert, verzettelt er sich in ungetümem Klassikrock. Mehrere Gedichte trägt Rose Ausländer selbst mit charakteristisch rollendem R vor, die Aufnahmen wurden 1976 und 1977 im Nelly-Sachs-Haus in Düsseldorf gemacht, wo Ausländer bis zu ihrem Tod im Januar 1988 ihren Alterssitz hatte.

In ein völlig anderes Universum zieht die ungekürzte Lesung von Volker Kutschers „Moabit“. Es ist die Vorgeschichte von Charlotte Richter, der großen Liebe des Kriminalkommissars Gereon Rath – die ersten Teile der preisüberhäuften Krimireihe hat Tom Tykwer als „Berlin Babylon“ verfilmt – und liefert die Erklärung, wie und warum aus der braven Lotte die verwegene Charly wurde.

Drei Protagonisten erzählen nacheinander ihre Versionen derselben Ereignisse. Der „Schränker“ Adolf Winkler ist ein Ganove alter Schule, der 1927, wenige Tage vor seiner Entlassung aus der Haftanstalt Berlin-Moabit, fast einem Mordanschlag zum Opfer fällt. Gerettet wird er vom preußisch-korrekten Wärter Christian Ritter, dessen Tochter Lotte als Erste in der Familie das Abitur machen konnte und sich als Stenotypistin ihr Studium finanzieren will. Sie weiß nicht, wie sie ihrem geliebten Vater gestehen soll, dass sie zusammen mit ihrer Freundin Greta in den Tanzlokalen des roaring Berlin die Nächte zum Tag macht.

Marc Hosemann liest mit rabatzigem Ganoven-Habitus den Part des Schränkers. Dabei nuanciert er zwischen ignoranter Coolness und Verletzlichkeit, die das Selbstverständnis eines aus dem Alltag gerissenen Häftlings gut illustriert, der zwar als Boss eines Diebesrings vor Selbstbewusstsein strotzt, aber nicht sieht und auch nicht sehen will, dass sich die Dinge während seiner Abwesenheit gegen ihn gewendet haben. David Nathan bringt die preußische Korrektheit seines Wärters mit einer großen Vaterliebe gut in Einklang und Karoline Herfurth macht das Gefühlsleben einer 19-Jährigen greifbar, in dem sie trotzig ihr Geheimnis wahren möchte, sich aber doch danach sehnt, ihren Vater ins Vertrauen zu ziehen – und bei allem Gefühlschaos Dinge verschweigt, die Leben hätten retten können.

Das wilde Berlin ist in „Moabit“ Nebensache. Eine Berlin-Stimmung der Zwanziger evozieren dafür die Illustrationen von Kat Menschik aus der Printausgabe von „Moabit“, von denen einige im Booklet abgedruckt sind. Sylvia Prahl

Rose Ausländer: „Wirf deine Angst in die Luft“. Lyrik und Musik, 1 CD, Griot Hörbuch Verlag, 2017

Volker Kutscher: „Moabit“. Ungekürzte Lesung. Argon, 2 CDs, 2 Std. 4 Min., 2017