Kleine
Bauern,
großes
Spiel

Russland ist Weltmeister im Getreideexport, einem riesigen Geschäft für Agrokonzerne – wenn es nur genug fruchtbare Flächen gäbe. Eine Geschichte von Landraub, Korruption und der goldenen Richterin

Ein Sonnen­blumenfeld und ein Denkmal der Kosakengardisten, die im Zweiten Weltkrieg gegen die Nazis gekämpft haben, am Rande des Dorfes Kuschewskaja nahe Krasnodar Fotos: Anna Artemeva

Aus Krasnodar Katharina Frey

Die Sonne ist gerade untergegangen, als Juri Sokolowski in Krasnodar ankommt; einer Provinzstadt im Süden von Russland. Das Wochenende hatte er am Schwarzen Meer verbracht, keine zweihundert Kilometer entfernt. Jetzt, am Sonntagabend, fährt er langsam durch die verstopften Straßen im Industriegebiet. Schließlich stellt er sein Auto vor einem großen Einkaufszentrum ab. Es soll so aussehen, als würde er nur kurz ein paar Besorgungen machen.

Juri Sokolowski ist der einzige Bauer, der einverstanden war, sich mit uns zu treffen. Wir, das sind Nataliya von der russischen Zeitung Nowaja Gaseta und ich, eine Journalistin aus Deutschland. Wir haben die Geschichten von den Bauernprotesten im Süden Russlands gehört. Von Bauern, die auf ihre Traktoren gestiegen sind, um nach Moskau zu fahren und sich bei Putin darüber zu beschweren, dass sie von lokalen Behörden und Oligarchen ausgeplündert werden. Aber diese Proteste wurden blockiert, die Bauern sind mit ihrem Anliegen nicht durchgekommen. Wir wollen mehr über die Korruption dort wissen, deshalb sind Nataliya und ich nach Krasnodar gefahren.

Krasnodar ist ein Zentrum der russischen Landwirtschaft – zehn Prozent des Getreides in ganz Russland wird hier angebaut. Die Gegend profitiert von der dunklen, fruchtbaren Schwarzmeererde.

Der Unmut der Bauern hat damit zu tun, dass Land in Russland wertvoll ist, weil die Landwirtschaft gerade einen Aufschwung erlebt; Russland ist inzwischen Exportweltmeister für Getreide. Große Konzerne suchen deshalb neue Anbauflächen. Und weil es kaum noch Land zu kaufen gibt in den fruchtbaren Gebieten, nehmen sie es kleinen Bauern oder ehemaligen Kolchosen weg.

Nataliya und ich kennen viele solcher Fälle von Landraub, wir haben mehrere Stapel Akten gesehen; aber nachdem das Erste Deutsche Fernsehen in einem Beitrag über die Bauern berichtet hat, wurden die Menschen, die offen darüber gesprochen haben, vom russischen Geheimdienst besucht. Wir haben eine ganze Liste an Telefonnummern dieser Menschen. Die Person, die sie uns gegeben hat, hat uns eingeschärft, die Bauern nur über verschlüsselte Messengerdienste zu kontaktieren, weil sie abgehört werden. Niemand antwortet uns. Juri Sokolowski ist der Einzige.

Wir treffen uns im vierten Stock des Einkaufszentrums; in einem Café, das fast leer ist. Nataliya hat es ausgesucht, weil man hier versteckt hinter ein paar Betonpfeilern sitzen kann. Durch die Glasfront sieht man den Stau auf der Hauptstraße, im Scheinwerferlicht der Autos den Smog. Im Café riecht es nach Zimt.

Sokolowski ist schmal und braungebrannt, sein Rücken krumm, er lächelt nicht. Auf seinem grauen Pullover steht: „Do what you want.“ Noch ehe er sitzt, fängt er an zu sprechen.

Sokolowski hatte nur mit einer russischen Journalistin gerechnet. Als er erfährt, dass eine deutsche Journalistin dabei sein wird, will er wieder umkehren. Das letzte Mal, als er mit deutschen Journalisten gesprochen hat, stand danach auch bei ihm der Geheimdienst vor der Tür. Es war ein höfliches Gespräch, aber es umfasste auch eine Warnung: Sollte er noch mal mit Ausländern über diese Sache sprechen, könnte ihm etwas passieren. Sokolowski sagt, er fürchtet, dass sie ihm Drogen zustecken und ihn dann verhaften.

Sollen wir abbrechen? Er ist ein Patriot, sagt er, er will seine schmutzige Wäsche nicht im Ausland waschen. Aber er ist froh, dass jemand seine Version hören will. Also bleibt er und erzählt. Was er sagt, stimmt mit den Akten überein, die wir haben.

Sokolowski heißt anders, um ihn nicht in Schwierigkeiten zu bringen, haben wir seinen Namen geändert. Er ist ein kleiner Getreidebauer, sein Hof liegt im Norden von Krasnodar. Theoretisch müsste es ihm gut gehen, denn das russische Getreide wird zur Zeit in die ganze Welt exportiert. Gerade hat der russische Landwirtschaftsminister Alexander Tkatschow einen weiteren Rekord verkündet: Noch nie in der Geschichte Russlands wurde so viel Getreide geerntet wie in diesem Jahr. Tkatschow wirkt stolz, wenn man ihn bei offiziellen Terminen sieht, er strahlt. Kein Wunder, er besitzt ja selbst ein Unternehmen, das Getreide anbaut. Der Minister zählt zu den größten Landbesitzern Russlands.

Die russische Landwirtschaft hat wenig mit der deutschen gemein. Riesige Agroholdings teilen sich in Russland den Markt auf. Der Staat befördert das, denn für ihn ist es bequemer, mit einigen Großunternehmen zu kooperieren als mit Hunderttausenden Kleinbauern. Das ist ein Grund dafür, warum niemand Sokolowski hilft.

Sokolowski kommt aus einer Stanitsa – so nennt man die Kosakensiedlungen im Süden, in denen traditionell Landwirtschaft betrieben wird. Vor Jahren gründete er ein kleines Unternehmen, das Getreide, Mais und Sonnenblumen anbaute. Er benannte es nach seinem Sohn.

Die Gemeinde bot ihm an, ein Stück Land zu pachten, das brachlag; insgesamt 300 Hektar. Das ist so groß wie der Central Park in New York. Es war voller Wasser und Unkraut, aber Sokolowski begann, damit zu arbeiten. Nach einigen Jahren reichte die Ernte zum Leben. Er stellte Menschen ein, die ihm bei der Arbeit halfen. Jedes Jahr zahlte er 300.000 Rubel Pacht.

Die Nachfrage nach heimischen Produkten ist in Russland seit der Ukrainekrise und den damit verbundenen Sanktionen enorm gestiegen. Der Grund sind die Gegensanktionen, die Russland verhängt hat und die es verbieten, Lebensmittel aus der Europäischen Union nach Russland zu importieren. Das sollte die westeuropäischen Bauern treffen – vor allem traf es aber die russische Bevölkerung. Sie vermissten den französischen Käse, Müsli, Brotaufstriche, Wein.

Russland, das größte Land dieser Erde, hatte keine funktionierende Landwirtschaft, die das kompensieren konnte. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion lag sie brach – die importierten Produkte waren billig, die Investitionen lohnten sich nicht.

Die Gegensanktionen waren deshalb auch eine Wiederbelebungsmaßnahme für die russische Agrarindustrie. Innerhalb kürzester Zeit zog die Produktion im Agrarbereich an. Kaum etwas außerhalb des Öl- und Gassektors ist jetzt so profitabel wie Landwirtschaft.

Nachdem Sokolowski jahrelang die Felder bestellt hatte, war eine Familie aus dem Ort auf sie aufmerksam geworden. Ihnen gehörte ein kleiner Teil des Landes, das die Bezirksverwaltung an Sokolowski verpachtet hatte. Vor vielen Jahren war ihnen das egal gewesen, denn das Land war nutzlos. Aber jetzt war es lukrativ und stand voller Wintergerste.

Die Familie forderte ihr Land zurück. Es gab Streit. Sie versöhnten sich wieder. Bis ein Geschäftsmann davon hörte: Evgeny Tarasowitsch. Der größte Unternehmer in der Region. Reich genug, um die Verwaltung und das Gericht zu bestechen. Berüchtigt dafür, Bauern das Land und die Ernte zu stehlen. Auch sein Name ist hier geändert.

August 2016 im Dorf Kasan: Bauern formieren ihre Traktoren zum Traktorenmarsch nach Moskau. Dorthin wollen sie, um sich bei Präsident Putin über die Korruption und den Landraub zu beschweren

Die meisten Fälle von Landraub in Krasnodar, die wir kennen, führen auf mehr oder weniger verschlungenen Pfaden zu einem Unternehmen von Evgeny Tarasowitsch.

Landraub wird dadurch vereinfacht, dass es nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Chaos bei der Registrierung der Felder gab. Dreimal wurden die Zertifikate für ungültig erklärt und ausgetauscht. Im Jahr 1991 gab es die „weißen“ Zertifikate, 1992 die „blauen“, 1993 mussten Bauern sich „rosa“ Zertifikate besorgen, 1998 wurden schließlich die „grünen“ ausgegeben. Im Jahr 2000 wurde beschlossen, dass diese grünen Zertifikate im Justizministerium registriert werden müssen.

Das hat dazu geführt, dass der Großteil des Landes heute nicht korrekt registriert ist. Jedes Mal, wenn ein neues Zertifikat ausgegeben wurde, gab es Probleme – weil Miteigentümer verstorben oder umgezogen waren, geheiratet und den Namen gewechselt hatten. Es gab Unternehmen, die den Bauern anboten, die Registrierung zu übernehmen und sich um alles zu kümmern – aber nachdem sie alle Informationen hatten, verkauften sie das Land weiter, zum Beispiel an korrupte Beamte.

Viele Landeigentümer haben immer noch keine „grünen“ und benutzen stattdessen „rosa“ Zertifikate – auch in Krasnodar. Im Prinzip ist es deshalb sehr schwierig zu beweisen, wem das Land gehört.

Wie stellt man es also an, wenn man reich ist und gerne ein Stück Land hätte, das theoretisch jemand anderes gepachtet hat?

In jedem Bezirk gibt es Mjortwije duschi, „tote Seelen“ – Landbesitzer, die weggezogen oder gestorben sind. Ihre Unterschriften werden benutzt, wenn ein Stück Land einen neuen Besitzer erhalten soll.

So erging es auch Sokolowski. Die Familie, mit der er Streit hatte, gründete eine Firma. Tarasowitsch, der reiche Geschäftsmann, stieg in die Firma ein und übernahm sie zu hundert Prozent. Die Firma setzte einen Pachtvertrag für Sokolowskis Felder auf – mit den Unterschriften der angeblichen Eigentümer. Allerdings waren 13 von 17 dieser Eigentümer schon lange verstorben, sie hätten den Vertrag also gar nicht unterzeichnen können.

Im Sommer 2016 kommt es zum Showdown: Sokolowski möchte die Gerste ernten, die er gesät hat. Aber eine Sicherheitsfirma blockiert seine Mähdrescher und lässt ihn nicht auf das Feld. Gleichzeitig haben die Maschinen von Tarasowitsch schon begonnen, die Felder abzumähen. Sokolowskis Manager ist außer sich, er flucht. Die Gerichtsvollzieher kommen dazu, sie sind ratlos. Es gibt schließlich einen Pachtvertrag, den die Männer von Tarasowitsch vorlegen können.

Die Parteien ziehen vor Gericht. Die Ernte ruht. Drei Monate lang. Dann ist die Gerste verschimmelt.

Schließlich entscheidet das Gericht, dass Sokolowski die Felder nicht hätte beanspruchen dürfen. Es erkennt den Pachtvertrag von Tarasowitsch an. Als Entschädigung für den Ernteausfall soll Sokolowski 62 Millionen Rubel zahlen. Das sind fast 1 Million Euro.

Hält man sich eine Weile in Krasnodar auf, sieht man, wie mächtig Tarasowitsch ist. Fast ein ganzes Stadtviertel ist voll mit großen Werken, die ihm gehören. Er besitzt Dutzende Firmen, darunter eine Fleischerei, eine Bank, und viele landwirtschaftliche Betriebe.

Öffentlich tritt er kaum in Erscheinung, im Internet existiert nur ein einziges Foto von ihm: Es zeigt ihn von der Seite; es wurde aufgenommen, als er 2014 vor Gericht stand. Es ging damals auch um Landraub, er soll eine ehemalige Sowchose betrogen haben. Tarasowitsch zahlte 1 Million Rubel Kaution, kam aus der Haft frei und wurde nie verurteilt.

Im Gerichtsprozess mit Sokolowski schickt Tarasowitsch seinen Anwalt vor. Ich bitte den Anwalt per Mail um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen, bekomme aber nie eine Antwort.

Tarasowitsch soll 900 Sicherheitsleute beschäftigen, erzählt man sich in Krasnodar. Tauchen Journalisten auf, kommen oft auch die Sicherheitsleute in ihren weißen Limousinen und beobachten, mit wem sie sprechen. So haben es uns Kollegen der ARD berichtet.

Der Anführer der Proteste wird vom Geheimdienst erpresst. Er soll unterschreiben, dass er aus der Ukraine gesponsert wurde

Wir sehen die weißen Limousinen nicht, aber auch Nataliya und ich fühlen uns schnell verfolgt: Die Frau, die zwanzig Minuten an unserem Nebentisch saß, ohne etwas zu trinken, und dann geht – hat sie auf jemanden gewartet oder hat sie uns belauscht? Der Mann, der uns vor dem Einkaufszentrum eindringlich mustert: Hat er etwas mit Tarasowitsch zu tun? Wir bewegen uns schnell, wechseln oft die Cafés, blicken uns häufig um.

Nataliyas Zeitung Nowaja Gaseta ist die letzte unabhängige Zeitung Russlands. Ihre KollegInnen werden oft bedroht oder angegriffen. Nach heiklen Recherchen müssen einige von ihnen manchmal mehrere Monate untertauchen. Fünf ihrer KollegInnen wurden in den vergangenen Jahren umgebracht, die bekannteste von ihnen ist Anna Politkowskaja. Niemand schützt unabhängige Journalisten in Russland. Das Land rangierte 2017 auf Platz 148 von 180 des Indexes der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen.

Die Schwierigkeit, in Russland als Journalist zu arbeiten, besteht auch darin, dass unklar ist, wo genau die rote Linie verläuft. Heikle Recherchen bleiben oft ohne Reaktion – aber scheinbar harmlose Interviews können dafür sorgen, dass der Geheimdienst einem einen Besuch abstattet und Wecker in der Wohnung versteckt, die nachts um drei klingeln. So erging es zum Beispiel dem Korrespondenten des britischen Guardian.

Wir besuchen die Nowaja Gaseta Kuban, einen Lokalableger der großen Schwesterzeitung. Man führt uns durch ein altes Holztor in einen verfallenen Hinterhof und schließlich zu der Chefredakteurin im ersten Stock: Galina Taschmatowa. Sie bietet uns Tee und Kekse an, dann fängt sie an zu erzählen.

Sie berichten zwar noch über die Bauernproteste, sagt sie, aber nicht mehr über den Unternehmer Tarasowitsch. Ein einziges Mal haben sie ein Foto von einer Demonstration gedruckt, auf dem ein Plakat zu sehen war: „Tarasowitsch, verschwinde!“ Der Unternehmer hat die Nowaja Gaseta Kuban sofort verklagt. Sie mussten 10 Millionen Rubel zahlen, fast 150.000 Euro. Ziemlich viel Geld für eine kleine Zeitung. Deshalb haben sie die Berichterstattung eingestellt. Die Chefredakteurin zuckt mit den Schultern. Was sollen sie tun?

Sie erzählt uns auch eine andere Geschichte: Nämlich die der „goldenen Richterin“, die Tarasowitsch hilft, indem sie vor Gericht zu seinen Gunsten entscheidet. Die Bewohner von Krasnodar nennen sie so, weil sie für ihre Hilfe bezahlt wird. Sie ist berühmt für die glamourösen Feste, die sie mit der Elite der Region feiert. Taschmatowa zeigt uns Videos von Recherchen der Redaktion: Sie haben die Universität in Georgien besucht, an der die Richterin angeblich ihr Diplom gemacht hat. Dort ist sie nicht bekannt.

Eine andere Schwierigkeit für Journalisten in Russland besteht darin, dass vieles käuflich ist. Bei jedem Gesprächspartner schwingt deshalb die Frage mit: Welche Interessen hat er? Und von wem wird er bezahlt? Natürlich sollte man sich diese Fragen auch stellen, wenn man in Deutschland recherchiert – aber in Russland ist die Antwort oft sehr konkret. Auch wenn man sie als Journalist nicht unbedingt erfährt.

Unsere erste Kontaktperson in Krasnodar war der Mann, der vor einem Jahr die Bauernproteste organisiert hat. Während der Proteste wurde er festgenommen, er saß zehn Tage in Haft. Dort wird er vom Geheimdienst besucht und erpresst – so erzählt er es bei einem unserer Treffen. Er sollte zu Protokoll geben, dass die Bauernproteste aus der Ukraine gesponsert wurden. Er unterschreibt.

Die Chefredakteurin Taschmatowa nennt ihn einen „kleinen Bauern in ihrem großen Spiel“. Sie zeigt uns ein Video, in dem er erzählt, dass er „am Haken“ der goldenen Richterin hängt. Weigere er sich, mit ihr zusammenzuarbeiten, werde sie seinen besten Freund ins Gefängnis schicken, soll die Richterin gesagt haben. Stimme er zu, werde sie im Gegenzug vor Gericht fünf Entscheidungen fällen, die den Bauernaktivisten helfen.

Der Mann bestätigt diese Geschichte, als wir uns treffen. Ein Jahr lang habe er mit der „goldenen Richterin“ zusammengearbeitet, erzählt er. Heute sei er aber wieder unabhängig.

Ob das stimmt? Unser anderer Kontaktmann, Sokolowski, traut ihm nicht: „Er arbeitet nie, hat aber immer Geld. Er trägt schicke Anzüge. Gerade erst hat er sich ein neues Auto gekauft, damit kam er vergangene Woche zum Gericht.“

Reiche Ernte: Arbeiterinnen bereiten das Getreide in einem landwirtschaftlichen Lager in der Region Krasnodar für den Abtransport vor

Der Mann war früher Polizist. Er sagt, die Arbeit sei ihm irgendwann zu anstrengend geworden. Gut möglich, dass er sich jetzt ein entspanntes Leben machen will und sich hier und da ein bisschen Schmiergeld verdient. Er hat Kontakte in der Polizei, im lokalen Geheimdienst, bei den Bauern und den Journalisten. Er ist jetzt selbst ein mächtiger Mann. Die Behörden würden davon profitieren, mit ihm zusammenzuarbeiten.

Wenn das stimmt, wäre das tragisch: Die Bauern hätten dann ihren wichtigsten Mitstreiter verloren. Und so sieht es aus, als ob dieser kurze solidarische Zusammenschluss der Bauern zerfällt. Sie sind keine Bewegung mehr, sondern misstrauische Einzelkämpfer.

Bei Recherchen gibt es normalerweise diesen Moment, in dem man auf Grund schlägt: Man sieht die Dinge plötzlich klar vor sich, so wie sie sind. In Krasnodar fehlt dieser Moment, stattdessen verliert sich alles im Nebel.

Unsere Zeit ist um. Nataliya wird zurück in der Redaktion erwartet, auch ich habe andere Verpflichtungen in Moskau.

Als wir zurückkommen, wird das Gebäude der Nowaja Gaseta von der Polizei durchsucht. Ich bin zum Glück gerade nicht in der Redaktion. Kollegen erzählen uns, dass die Polizisten auf der Suche nach Ausländern waren; sie wollen die Verbindungen zwischen der Nowaja Gaseta und Westeuropäern kappen. Da ich dort offiziell nicht angemeldet bin, bleibe ich die kommenden Tage in meiner Einzimmerwohnung in einem Plattenbau, im neunten Stock. Während ich schreibe, schaue ich den Autos auf einer großen Straße zu, wie sie Moskau verlassen. Ich versuche, weitere Informationen über die Bauern und die Korruption in Krasnodar zusammenzutragen, aber der Nebel lichtet sich nicht.

Sokolowski ruft noch mehrmals bei Nataliya an, atemlos erzählt er die weiteren Entwicklungen. Er ist jetzt vor Gericht in Berufung gegangen. Er kann keine 62 Millionen Rubel zahlen, dann wäre er bankrott. Der Rechtsstreit zieht sich hin. Sokolowski hat wenig Hoffnung, dass er gewinnt.

Der Unternehmer Tarasowitsch ist in der Zwischenzeit zu einem der zehn reichsten Männer im Süden Russlands aufgestiegen.

Das Land, um das es ging, wurde von der Gemeinde neu ausgeschrieben. Ein Geschäftsmann pflanzt dort jetzt Kartoffeln.