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Wenn der Rausch des Abends verpufft

Gib uns mehr: Frank Castorf inszeniert am Schauspielhaus Hamburg „Der haarige Affe“ von Eugene O’Neill, mit tollem Bühnenbild, hervorragender Schauspielerbesetzung und am Limit rebellischer Attitüde

Das Kesseltreiben in „Der haarige Affe“ Foto: Thomas Aurin

Von Simone Kaempf

Nichts zu sehen außer einem Zeitungskiosk, Reklamegestänge und einem Subway-Eingang, der tief nach unten führt. Im düsteren Licht steigt Nebel auf, der 20er-Jahre-Stimmung verbreitet. Es riecht nach krummen Geschäften und nächtlichem Showdown. New Yorker Straßenbanden könnten sich in diesem Bühnenbild Kämpfe liefern. Stattdessen klettert der langjährige Volksbühnenspieler Marc Hosemann in den Zeitungskiosk, ein halb-komödiantisches Spiel auf vollem Energielevel.

Nicht um Bandenkriege geht es, sondern um die faulen Geschäfte des Individuums, das sich nicht ums Göttliche, Schöne oder Menschliche schert. „Mir geht nichts über mich“, schleudert Hosemann heraus – und widerlegt seine nihilistische Rede damit, dass er die Schrift „Der Einzige und sein Eigentum“ und ihren Verfasser, den Anarchisten Max Stirner, als hohlste Nuss am Philosophen-Himmel darstellt. Bald umgarnt Kathrin Angerer Hosemann charmant. Der Schauspieler Abdoul Kader Traoré rappt zu afrofranzösischer Musik, und alle warnen vor dem ominösen Mister Brown. Das überfrachtete Verwirrspiel aus Namen, Handlungsfetzen, widersprüchlichen Bedeutungsebenen lässt kaum ein Thema aus.

Im diffusen Kräftefeld aus Gesellschaft, Individuum und seinem Schicksal bewegt sich „Der haarige Affe“, Frank Castorfs Inszenierung am Schauspielhaus Hamburg, die seine Handschrift wiedererkennbar trägt: der appellierende Ton, der ins Pathetische führt, die Ultragroßaufnahmen, mit denen der Abend nicht geizt. Über weite Strecken des Abends folgt die Live-Kamera den Schauspielern ins Innere des Bühnenbilds. Die U-Bahn-Treppe hinunter geht es in den Kesselraum eines Ozeandampfers, zur Vorhölle einer Horde betrunkener, kohleschaufelnder und Reden schwingender Schiffsheizer.

Die dreckverschmierten Schauspieler Josef Ostendorf, Charly Hübner und Samuel Weiss nimmt die Kamera detailnah ins Visier. Aufgerissenes Augenweiß blitzt in kohlenstaubschwarzen Gesichtern. In dieser Unterwelt aus Angst, Schweiß und Aufruhr legt Castorf die Fährten fürs Klassenkampf-Stück. Zumindest bis das HighSociety-Mädchen Mildred (Lilith Stangenberg) aus dem Oberdeck auftaucht und sich andere bizarre szenische Fantasien ent­wickeln. Erst fällt Mildred in Ohnmacht, dann wird sie begrapscht und schaufelt schließlich komplett nackt eine Viertelstunde lang Kohlen in den Schiffskessel.

Heizer im Kesselraum

An Pathos, Ideen und Text spart Castorf nicht. „Der haarige Affe“ heißt der Abend frei nach Eugene O’Neills rebellischem Anti-Stück zum US-Aufstiegstraum aus dem Jahr 1921. Im Kesselraum erkennt der Heizer Yank seine Bedeutungslosigkeit. Die Wut darüber treibt ihn auf die Fifth Avenue, zur Gewerkschaft und in den Zoo. Doch nirgends findet er seinen Platz. Dieser Vorlage sind allerdings noch zwei weitere Stücke O’Neills beigefügt, dazu Rimbaud-Fragmente und etliche Musikeinlagen. Eine Dreiecksbeziehung entspannt sich langatmig zwischen Dion, dem Architekten Brown und der schönen Margaret, gespielt von Anne Müller in pelzbesetzten Glitzerfummeln.

Zwischen verschiedenen Texten zu springen und sie gegenseitig zu vertiefen, dafür hat der Regisseur jüngst nochmal für seine „Faust“-Inszenierung Anerkennung erhalten mit einer Einladung zum Berliner Theatertreffen. In „Der haarige Affe“ entspinnt sich ein Sammelsurium gegensätzlicher Themen um den aufbegehrenden Menschen. Doch die Handlungsstränge verbinden sich einfach nicht. Selbst die interessantesten Gedanken werden eher ausgestoßen als diskutiert. Die sinnsuchende Grundhaltung des Abends steigert sich zum Ende zwar in grandiosen Monologen, wenn Charly Hübner etwa zum eloquenten Smokingträger aufsteigt. Nach fünf ausgedehnten Stunden scheint eine euphorische Energie noch einmal die Schauspieler zu befeuern, doch Sinnstiftung lässt sich nicht mehr erzwingen. Das rauschhafte Philosophieren verpufft zwischen blinkender Zigarettenreklame und dem Heizerkeller, zwischen Zeitungskiosk und einer Hanfplantage. Zwischendurch gibts auch mal einen Witz zur #Meetoo-Debatte. Lilith Stangenberg lässt ihren Pelz fallen mit den Worten, dass man als Frau nur Sperma schlucken, abduschen und weitermachen müsse. Das Publikum quittiert die Provokation mit einem satten Buh, ein Moment der Deutlichkeit auf der Bühne wie im Zuschauerraum. Vieles andere des Abends lässt einen eher ratlos zurück. Vorhang zu, Fragen offen.

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