„Moral und Doppelmoral“

PROSTITUTION In Europa nehmen Repressionen gegen SexarbeiterInnen zu, hat das EU-Projekt „Indoors“ herausgefunden. Projektkoordinatorin Veronica Munk über verquere Moral und das schicke St. Georg

■ 62, gebürtige Brasilianerin. Koordiniert seit 1993 EU-Projekte zu Sexarbeit, Migration und Menschenrechten, zuletzt „Indoors“.

taz: Frau Munk, Sie haben sich für das EU-Projekt „Indoors“ zwei Jahre mit der rechtlichen Situation von SexarbeiterInnen beschäftigt. Wie ist Ihre Bilanz?

Veronica Munk: Es wurde deutlich, dass Sexarbeit im europäischen Kontext diskutiert werden muss. Denn in den meisten europäischen Ländern passiert Sexarbeit in einer Grauzone. Das bedeutet für die SexarbeiterInnen, dass sie keine Rechte haben, weil sie eigentlich nicht existieren. Und in ganz Europa nehmen die Repressionen zu, in Frankreich will die Regierung die Sexarbeit nun abschaffen.

Wie das?

Im Gegensatz zu Hamburg arbeiten in Frankreich die meisten SexarbeiterInnen auf der Straße. Das passive Anbieten von sexueller Dienstleistung war schon lange verboten, seit 2003 ist es auch das aktive Anbieten. Wenn man also mit einem kurzen Rock auf der Straße unterwegs ist, könnte man schon sagen, die Frau will sexuelle Dienstleitung anbieten. Und nun soll der Kauf von sexueller Dienstleistung verboten werden, wie in Schweden. Das hört sich an, als wären die Arbeitsverhältnisse in Hamburg noch relativ angenehm, immerhin ist die Prostitution seit 2002 als Arbeit anerkannt.

Angenehm ist es nicht, wenn Sie schauen, was in St. Georg passiert. Hier wurde Prostitution immer toleriert, obwohl es ein Sperrbezirk ist. Seit den letzten zwei Jahren werden SexarbeiterInnen massiv reprimiert, müssen mit Bußgeldern rechnen. Seit Anfang des Jahres gibt es dazu noch die Freier-Bestrafung.

Seit Juni werden immer weniger Bußgelder verhängt – laut der Innenbehörde ein Beleg dafür, dass Freier abgeschreckt werden und die Straßenprostitution rückläufig ist.

Aus deren Perspektive mag sich das wie ein Erfolg anhören, aber hat jemand die Sexarbeiterinnen gefragt, was sie darüber denken? Dann wüsste der Senat, dass sich die Arbeitsbedingungen der Frauen verschlechtert haben.

Inwiefern?

Die Preise gehen runter, die Frauen müssen sich verstecken und haben ständig Angst. In St. Georg geht es nicht nur um Moral wie immer bei Prostitution, sondern auch um wirtschaftliche Interessen: Der Stadtteil soll schick sein, da stören SexarbeiterInnen.

Es gibt Stimmen, die sagen, es sei ein Unding, dass Prostitution in Deutschland erlaubt ist, weil das die Unterdrückung der Frauen legitimiere.

Die Mehrheit der Frauen arbeitet nicht so, wie das Image es will. Die meisten machen es freiwillig. Einige, weil sie es gern tun, andere machen es nicht gern, haben aber ökonomische Nöte. Nur in der Öffentlichkeit heißt es, alle Frauen wurden vergewaltigt, alle sind Opfer. Das entspricht aber nicht der Realität.

Woher kommt denn diese verquere Wahrnehmung?

Prostitution ist ein sehr schwieriges Thema, weil es mit Moral und vor allem mit Doppelmoral zu tun hat. Sehr viele Menschen in der ganzen Welt bieten sexuelle Dienstleistungen an, um davon zu leben. Sexarbeit ist Arbeit, sollte daher entkriminalisiert werden und die SexarbeiterInnen sollten ihre Arbeits- und Menschenrechte anerkannt bekommen.  INTERVIEW: ILK

Die Ergebnisse des Projekts „Indoors“ liegen jetzt vor, unter anderem das Buch „Pictures of a Reality“, in dem SexarbeiterInnen über ihren Job erzählen. Mehr unter www.raggaza-hamburg.de