berliner szenen
: Ein Tisch mit Sekt nahe dem Grab

Es war alles sehr schnell gegangen. Ihre helle Stimme ist noch in meinem Kopf. Alle Generationen sind bei der Beerdigung vertreten. Bis vor zwei Jahren hatte sie an der Heinrich-Zille-Grundschule unterrichtet. Mit dem Kabarett Herzschmerz war sie viele Jahre im Café Anna Kosch­ke in Mitte aufgetreten. Ihr Rolle war: blondes Gift oder Unschuld vom Lande, in jedem Fall eine Gefahr für alle Männerherzen.

Fast 20 Jahre war sie mit M. zusammen gewesen. Ohne G. wäre er schon lange tot, hatten wir gedacht. Sie hatte ihr ganzes Leben in der Nähe des Südstern gewohnt. Alles spielte sich eine halbe Generation über mir ab, also kurz vor den 68ern.

M. kommt langsam mit seinem Rollator, kurz bevor die Totenfeier beginnt. Die Pastorin spricht von G. als einer „Powerfrau“. Der Flipperkönig wirkt wie ein verlorener kleiner Junge auf dem Begräbnis seiner Tante. Ein paar Meter vom Grab entfernt steht ein Tisch mit Sekt.

Später sitzen wir im „Maison Blanche“. S. sagt, sie hätte G. vor allem als verletzlich wahrgenommen. Als sie sich zum ersten Mal gesehen hatten, hätte sie sich sofort in sie verliebt. Eine Weile sprechen wir über die Geschichte der Apothekenrundschau.

Mit dem gleichen Tempo, in dem er früher Bier getrunken hatte, trinkt M. nun Cappuccino. Vor dem Lokal treffe ich N., den Hippie. Er raucht einen kleinen Grasjoint. Vor sieben Jahren wäre ich beinahe bei ihm eingezogen. Das Gras ist angenehm und schmeckt gut. Ich fühle mich leicht und zugleich ein bisschen irritiert und denke an die Hippiefreunde aus meiner Teenagerzeit.

Der Abschied geht zu Ende. G.s Bruder bedankt sich bei den Gästen, und die beste Freundin sagt, dass die Toten in einem weiterleben … und dass man selber inzwischen nun schon wie ein belebtes Haus sei, weil so viele tot sind, die man gekannt hatte. Detlef Kuhlbrodt