Die Tanzkompanie des Bundestags

Wie viel Kulturpolitik verträgt Kunst? Im HAU präsentiert sich das Ensemble Dance On in einem kleinen Festival. Vor gut zwei Jahren wurde die Gruppe für Tänzer*innen über 40 gegründet. Nicht nur der Name wirft Fragen auf

Am 4. März im HAU 2: Dance On in dem Stück „Water Between Three Hands“ von Rabih Mroué Foto: Dorothea Tuch

Von Astrid Kaminski

„Was sind die zwei schlimmsten Namen für eine Tanzkompanie?“, fragt Christopher Roman. Antwort: Ballet of Difference und Dance On. Beide wurden in den letzten drei Jahren gegründet, die eine in München, die andere in Berlin, Erstere wird von dem Choreografen Richard Siegal geleitet, Letztere von Christopher Roman selbst.

Sowohl Siegal als auch Roman haben zu einem früheren Zeitpunkt ihrer Karriere in der Forsythe Company getanzt, einem der renommiertesten Post-Ballett-Ensembles der Welt, dessen stellvertretender künstlerischer Leiter vor seiner Zeit bei Dance On der hyperenergetische Christopher Roman war. Nun, nach etwas mehr als zwei Jahren, steht eine künstlerische Bilanz der neuen Kompanie an, die vom 28. Februar bis 4. März im HAU Hebbel am Ufer zu sehen sein wird.

Wie kommt der Tänzer nun aber zu einer Kompanie, deren Namen er nicht ausstehen kann? Ganz einfach: Er wurde angestellt. Es stellte sich heraus, dass der Name nicht verhan­delbar ist. Ein Jahr lang wurde darüber gestritten. Die künst­lerische Co-Direktorin und Gründerin von Dance On, Madeline Ritter, setzte sich durch. Sie ist eine versierte und ebenso idea­listisch wie unternehmerisch getriebene Kulturmanagerin, ohne die Deutschlands Tanzlandschaft heute anders aussehen würde. Von 2005 bis 2010 etwa leitete sie im Auftrag der Kulturstiftung des Bundes das Förderprogramm Tanzplan Deutschland zur Verbesserung der strukturellen Verankerung des Tanzes unter den zeitgenössischen Künsten; mit ihrer Unternehmergesellschaft Diehl+Ritter setzte sie ab 2011 das ebenfalls landesweite Förderprogramm Tanzfonds Erbe durch, das es ermöglichte, einen Blick auf die allenfalls in Ar­chiven verschwundene Geschichte des Tanzes zu werfen.

Der Streit über den Namen für ihre neue Kompanie sowie deren schiere Existenz spiegeln nun einiges von dem, was derzeit im Tanz zwischen Kunst und Kulturpolitik verhandelt wird. Dance On, Weitertanzen, beschäftigt sechs Tänzer*innen, die älter als 40 Jahre sind, für ein über zweijähriges Pilotprojekt in Festanstellung. Das um diverse Gelder aufgestockte Basisbudget von eineinhalb Million Euro, für das außerdem ein achtköpfiges Produktions-, Dokumentations- und Rechercheteam angestellt wurde, stammt direkt aus dem Bundestag, aus der sogenannten Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses. Wer gute Kontakte hat, kann hier an hohe Summen kommen. Ein formalisiertes Verfahren zur Einreichung von Förderanträgen gibt es nicht.

Dass der Ausschuss für den zeitgenössischen Tanz schon einiges bewirken konnte, finden viele toll. Dass eine Kulturmanagerin auf diese Weise eine Kompanie gründen kann, während der Tanz noch nicht einmal strukturell wie andere Künste als Unterrichtsfach an Schulen verankert ist (wofür ­Ritter selbst sich ja mit dem Tanzplan starkgemacht hatte), stößt teils auf Unverständnis. Dass Kul­tur­manager*innen in der Fördermittelvergabe eine wichtige Rolle spielen – Festivals, Aufführungsorte und Projekte auf die Beine stellen –, ist Fakt. Dass sie federführend Kompanien mit staatlichen Geldern gründen, ist die Ausnahme. Wo ist die Grenze? Was an der Kunst gehört den Künstler*innen?

Und eine weitere Frage, auf die der Namensstreit verweist: Wie viel Kulturpolitik verträgt die Kunst? Weil der Tanz sich unter den Künsten am unmittelbarsten auf den Körper bezieht, ist er zum Schlachtfeld von Diversitätspolitik geworden. Festivals wie Institutionen achten fast schon ängstlich ­darauf, dass sie „migrantische“ und „queere“ Positionen ebenso wie Körper mit Alterungserscheinungen, Behinderungen oder nicht BMI-konformem Volumen präsen­tieren. Diese Praktik kann helfen, marginalisierte Themen und Körper sichtbar zu machen. Sie kann aber auch zu einer Art Ablasshandel werden: Alles, was sozialpolitisch nicht funktioniert, wird eben auf die Bühne ausgelagert und dort beklatscht.

Nun steht Dance On, ein technisch hervorragend aufgestelltes Ensemble, nicht dafür, Altersarmut oder Pflegenotstand auf der Bühne thematisieren zu wollen. Es geht hier eher um das Durchsetzen einer ästhetischen Revolution: Seit den 1960er Jahren hat der postmoderne Tanz den vom Ballett geprägten Bühnentanz grundlegend verändert, viele sagen „demokratisiert“. Virtuosität muss nicht mehr kompetitiv sein, sie liegt in unzähligen Varianten der Beherrschung von Raum und Zeit. Bewegungen aus allen Lebensbereichen werden untersucht und ins choreografisch-tänzerische Vokabular aufgenommen, ein reger Austausch zwischen sozialen Bewegungen und Tänzen und dem Bühnentanz ist entstanden.

Was sozialpolitisch nicht funktioniert, wird auf die Bühne ausgelagert und dort beklatscht

Bei Kompanien wie etwa Sasha Waltz & Guest oder dem Tanztheater Wuppertal arbeiten viele Tänzer*innen noch mit über 40. Jedoch: Wenn es um ­Auditions geht, dann ist Jugend immer noch Trumpf. Wie in allen Lebensbereichen, vor allen den repräsentativen, ist „Frische“ schlicht ein Marketingmittel. Diese Situation möchte Madeline Ritter mit Dance On ändern, indem sie ein zeitgenössisches Repertoire schaffen, das die Virtuosität des reiferen Körpers nachhaltig sichtbar macht.

Den Namen Dance On will sie auch nach der Pilotphase beibehalten: „Manche Labels sind für eine gewisse Zeit wichtig. Das ist wie mit der Frauenquote.“

Christopher Roman, der aus den gemeinsam mit renommierten Choreograf*innen erarbeiteten Stücken nun einen fünftägigen Showcase am HAU mit Workshops und Diskus­sio­nen zusammengestellt hat, will allerdings in Zukunft raus aus der Labelbox. Wieder jung werden. Er ist dabei, eine eigene Kompanie zu gründen, die SALT heißen soll.

„Out Of Now / Dance On Festival“, 28. 2. – 4. März im HAU, alle drei Theater