Die Bestie Jugend ist konformistisch

Suna Gürler bringt Sivan Ben Yishais Generationenporträt des Feminismus, „Papa liebt dich“, mal kraftvoll, mal angenehm unterspannt und zum Schluss leider mutlos werdend ins Studio Я

Von Tom Mustroph

Der Auftakt ist vielversprechend. Im zuckenden Neonlicht tauchen Figuren auf und verschwinden wieder. Es sind Geistergestalten, flüchtige Passagiere, die die Wahrnehmungsapparate des Publikums auf eine Feineinstellung kalibrieren. Es folgt eine böse Beobachtungsszene. Eine junge Frau unserer Tage taxiert eine alte Frau im Zug. Der Blick der Jungen seziert die altmodische Kleidung und das fahle Fleisch darunter.

Die junge Frau ist aufgespalten in fünf mal chorisch agierende, mal einander heftig ins Wort fallende und dann wieder sich gegenseitig anfeuernde Performerinnen: Die Bestie Jugend stellt das Alter bloß und macht einen Konformismus deutlich, gegen den auch die feministische Elite, jedenfalls die mit der Gnade der ganz späten Geburt, eher selten gefeit ist.

Dieser Generationenkonflikt ist eine der Kraftquellen von Stück wie Inszenierung. Eine weitere liegt darin, dass kaum etwas eindeutig bleibt. Auf die genüssliche Zersetzung des alten weiblichen Körpers erfolgt eine traumhafte Überhöhung von Frauenleibern, die, wie jung oder alt sie auch sein mögen, miteinander ringen, übereinanderfliegen und jeglichen Männerkörper, ob soldatisch, sportlich oder im Büro deformiert, als schwach erscheinen lassen. Die chorische Bestie Jugend verwandelt sich in eine Gender-Heroin.

Die fünf Darstellerinnen – Stella Hilb und Elena Schmidt mit einer guten Mischung aus Konzentration und Lässigkeit, Vidina Popov mit unerschütterlicher Dynamik, Linda Vaher mit souveräner Neigung zur Bitch, und Vernesa Berbo in ihren besseren Momenten mit dem ramponierten Pragmatismus der Realsozialismus-erfahrenen Frau – wagen sich auch auf stark vermintes Geschichtsgelände vor. Sie zelebrieren das Profitieren von Entschädigungsleistungen nach dem Holocaust. „Wir sagen nicht, dass alle so viel Glück mit diesem Krieg hatten wie wir, aber wir haben das System bis auf den letzten Cent ausgepresst“, triumphieren sie.

Diesen tiefschwarzen Humor darf sich in Deutschland wohl nur eine israelische Autorin herausnehmen. Ben Yishai tut es. Und sie legt diesem Ensemble mit noch in den Namen erkennbaren familiären Migrationsszenarien den Rat an andere aktuell unterdrückte Minderheiten in den Mund, es genauso zu tun und die Peiniger von heute ökonomisch bis in die dritte Generation bluten zu lassen.

So mancher Abkömmling in zweiter und dritter Generation der Peiniger von einst – und selbst per Geburt schon Wohlstandsprofiteur unserer Zeiten – lacht und klatscht und fühlt sich ein bisschen unwohl.

Nach diesem bemerkenswerten Moment scheinen der Regisseurin aber die Ideen für diesen Text auszugehen. Kraft und Lässigkeit der Truppe verlieren sich. Augenblickslacher werden nur noch durch Witze provoziert: „Wie nennt man den Gynäkologen einer Großmutter? Archäologe.“ Und als die Auseinandersetzung der Frauengenerationen ihrem eigentlichen Höhepunkt zusteuert – wenn der Tochter schmerzhaft bewusst wird, dass sie gegenüber ihrer Mutter eine ähnlich dominante Position wie der Vater einnimmt –, beordert Gürler ihre Performerinnentruppe hinter die Neonwand zurück und lässt sie auf den Vater schimpfen.

Wie gut wäre es gewesen, die Analyse der Töchterposition in der Wohlstandsgesellschaft in der Schärfe und Coolness, zu der das Ensemble im ersten Teil des Abends fähig war, ausgeführt zu sehen. Eine zumindest in diesem Aspekt verschenkte Gelegenheit an einem dennoch bemerkenswerten Abend.

Wieder am 18. 2., 6. 3, 7. 3., 19.30 Uhr