AUF KIPP
: Ohne Lehne leben

ROGER REPPLINGER

Neue Bänke stehen in der Stadt, ohne Lehne und unbequem. Es hat Klagen gegeben. Das Hamburger Abendblatt hat sich der Sache angenommen und kämpft für bessere Bänke. Wir nicht! Wenn man was Gutes über Hamburg sagen kann, dann: gemütlich isses nich’. In dieser Stadt zeigt der Kapitalismus Zähne mit denen er auch Lehnen von Bänken frisst.

Wir wissen, dass die Stadtverwaltung Hadi Teherani mit dem Bau von Bänken beauftragt hat, die kippen die Sitzenden nach 45 Sekunden ab. Drei Piepser warnen die Säumigen, wer dann nicht aufsteht, fällt. Beim Testlauf in Behörden hat es Verletzte gegeben. „Gut“, heißt es in den oberen Rängen der Senatsbehörden, „Touristen und Hamburger sollen nicht auf Bänken sitzen und Tauben füttern, die sollen einkaufen.“

Überlegungen, die Bänke ganz abzuschaffen, wurden einstweilen aufgeschoben, weil das einigen Rentnern auffallen würde. Noch zögert die Stadt, den Gedanken der Bank ohne Lehne zu Ende zu denken. Wir, die wir schon lange ohne Lehne leben, helfen gern! Und schlagen vor, die Trottoirs so umzugestalten, dass die Passanten nicht mehr in die Schaufenster der teuren Läden der Mönckebergstraße glotzen, sondern in die Läden plumpsen, vor die Füße emsiger Verkäuferinnen, denen sie, in diesem benommenen Zustand, hilflos ausgeliefert sind. Vor den teuersten Geschäften sollen die Trottoirs am stärksten abgesenkt werden und aus besonders rutschigen Materialien bestehen. Die Handelskammer ist begeistert.

Wir sind auch dafür, ähnlich wie auf dem Kiez, Polizeikontrollen einzusetzen, um zu prüfen, ob Besucher der Innenstadt genug eingekauft haben. Wer zu wenig in der Tüte hat, darf die Innenstadt nicht verlassen, bis er sein Kontingent erfüllt hat. Wer jammert, er habe kein Geld, das Konto sei leer, muss auf Raten ein Abo für Elbphilharmonie und Abendblatt erwerben. Gegen renitente Konsumverweigerer schlagen wir den rigorosen Einsatz von Wasserwerfern und Reiterstaffel vor.

Drei bis vier Razzien täglich, bei denen die Innenstadt systematisch durchgekämmt wird, genügen. Sehen die Leute die Polizei, flüchten sie in die Geschäfte und kaufen, was das Zeug hält. Jeder, der erwischt wird, wie er „hier einfach nur mal so rum laufen“ oder „spazieren gehen“, oder „frische Luft schnappen“ will, checkt mit Hilfe netter Polizeibeamter und ihrer Zähne fletschenden Vierbeiner entweder sofort ins nächste Luxushotel ein, oder bekommt einen Platzverweis. Den Aufenthalt im Freien verleiden auch die aus ganz Deutschland zusammen gezogenen Straßenkapellen, die nur „El Cóndor Pasa“ spielen.

Sehr geschickt ins Konzept eingegliedert und ein Ausweis für die nach wie vor große Liberalität der Hansestadt: das Occupy-Zeltdorf ist in die Pläne integriert. Die Besichtigung kostet 15 Euro, Kinder und Arbeitslose die Hälfte. Besucher dürfen die Occupisten füttern, geeignete Nahrungsmittel gibt es an besonderen Ständen. In der Happy Hour zwischen 14 und 15 Uhr können besonders zutrauliche Occupisten gestreichelt werden.