Niemandshalle mit Energiesparlampen

OPERNPREMIERE Der Regisseur Philipp Stölzl hat Richard Wagners „Parsifal“an der Deutschen Oper inszeniert. Trotz herausragender Solisten und eines Ensembles in Hochform passiert auf der Bühne nur sehr wenig

Der Vorhang geht wieder hoch, aber wir sind immer noch in Golgatha

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

Neonlampen hängen an der Decke, rechts eine Betonmauer, auch mit Neonlampen am oberen Ende. Eine Tiefgarage könnte es sein oder irgendein Lagerhaus irgendwo im symbolischen Niemandsland der Moderne, wo dieser „Parsifal“, die letzte Oper Wagners, zweifellos hingehört, zumal dann, wenn Philipp Stölzl sie inszeniert hat. Ein vielseitiger Mann, Videoclips für Rammstein und Madonna, Werbe- und andere Filme („Nordwand“, „Goethe!“) pflastern seinen Weg zur Oper und zu Wagner, den er besonders gerne mag (hat er der Morgenpost gesagt).

Violinen, Celli und tiefe Holzbläser intonieren die feierliche Anfangsmelodie des „Parsifal“. Danach füllen hohe Holzbläser und flirrende Akkordbrechungen der Violinen den harmonischen Raum: Wagners späte Einfachheit, fromm gemeint, aber eben auch arg schlicht. Auf der Bühne hängt Christus am Kreuz. Konrad Moritz Reinhardt, Stölzls Bühnenbildner, hat die Szene von Golgatha in die moderne Niemandshalle gebaut, so schön akkurat in Pappmaché imitiert, wie man das heute höchstens noch bei Modelleisenbahnern findet. Alles ist da, die Gemeinde der Urchristen, der Speer, den einer von ihnen in den toten Leib des Erlösers sticht, die Schale, in die sein heiliges Blut fließt.

Die Moderne ist grausam

Dann geht Wagners Vorspiel im Orchester zu Ende und auch der Vorhang fällt wieder. Die Vorgeschichte des Grals haben wir verstanden, und wenn nicht, wird sie uns Gurnemanz gleich ausführlich erzählen. Hinter dem Vorhang müssen dazu die Pappfelsen weggeräumt werden. „Ein Wald, schattig und ernst, doch nicht düster. Eine Lichtung in der Mitte. Tagesanbruch“, hat Wagner in die Partitur geschrieben. Der Vorhang geht wieder hoch, aber wir sind immer noch in Golgatha. Dieselben Pappfelsen, weder besonders dramatisch, romantisch oder öde, einfach nur pappig. Auch das Licht ist dasselbe: trübe funzelndes Gelbweiß. Offenbar hat die Deutsche Oper die neue EU-Verordnung ernst genommen und in alle ihre Scheinwerfer Energiesparlampen eingeschraubt.

Matti Salminen ist kurzfristig für einen verhinderten Kollegen eingesprungen. Ein Titan unter den Bässen der letzten Jahrzehnte, aber seine große Zeit ist vorbei. Übermäßig deutlich akzentuierend deutet er die Rolle des Gurnemanz eher an, als sie wirklich auszufüllen. Nur manchmal stemmt er sich auf und lässt ahnen, zu welcher Größe dieser Sänger einst fähig war. Aber hier? Traurig fragt er nach dem Befinden des Königs, kümmert sich um die todmüde Kundry, rechts steht immer noch dieselbe Betonmauer mit den Neonleuchten. Die Moderne ist grausam. Der erlöste Erlöser, Amfortas und seine Wunde, Kundry, die Hexe, Klingsor, der Böse: alles ist abgeschoben in diese Halle für alte Requisiten, die keiner mehr braucht. Wahrscheinlich steht sie am Rande eines kleinstädtischen Gewerbegebiets.

Plötzlich kommt doch einer hinein, im Anzug, um nachzuschauen. Es ist Klaus Florian Vogt, an seiner makellosen Wunderstimme sofort zu erkennen. Was soll er tun, tumber Parsifal, der er wohl sein muss? Salminen gibt sich alle Mühe, es ihm zu erklären. Der Chor der Geißler tritt auf, will den Gral sehen, Amfortas leidet, nichts geschieht. Trübes, gelbes Licht, Pappfelsen, Gralsritter aus der Mottenkiste. Nach endlos langer Zeit fällt auch darüber der Vorhang.

Pause, dann Klingsors Burg: Pappfelsen, trübes Licht, etwas röter eingefärbt, bunte Blumenkinder, ein paar oben ohne. Vogt singt wunderbar, Evelyn Herlitzius ein bisschen flattrig die Kundry. In der zweiten Pause fragt mich mein sehr geschätzter Kollege von der dpa, ob ich fliehe? Nein, wir müssen wissen, wie es endet. Ich biete ihm an, ihn nach dem dritten Akt anzurufen, um ihm zu sagen, wie der Schlussapplaus ausfiel. Dann könnte er jetzt ja gehen. Aber pflichtbewusst, wie er nun mal ist, bleibt auch er. Am Ausgang der Oper haben wir uns darauf geeinigt, dass der Schlussapplaus „gemischt“ war.

Das stimmt. Vor allem Klaus Florian Vogt, aber auch Matti Salminen, Chor und Ensemble haben den ungeteilten, wenn auch nicht tosenden Applaus redlich verdient. Auch Donnald Runnicles ist wenig vorzuwerfen, er allein konnte das Unheil nicht abwenden, das ausschließlich Philipp Stölzl zuzuschreiben ist. Wenn es wenigstens irgendetwas zu diskutieren gäbe! Aber das Einzige, was bleibt, ist das Gefühl des Betrugs. Es gab keinen Parsifal, nur unfassbar trostlose Langeweile. Die Deutsche Oper ist übrigens gerade 100 Jahre alt geworden. Auch das noch.

■ wieder am 25. und 28. Oktober