Schockbilder auf Tabakwaren: Behördenschlaf bei Kippen-Schockern
Warnhinweise auf Tabakwaren müssen beim Kauf sichtbar sein. Bei Zigarettenautomaten drücken die Landesbehörden wohl ein Auge zu.
Der Verkauf von Zigaretten und anderen Tabakwaren ist in Deutschland streng geregelt. Doch für die rund 330.000 Zigarettenautomaten gelten die Gesetze scheinbar nicht. Denn die Landesbehörden, die für die Umsetzung der Tabakerzeugnisverordnung zuständig sind, machen für die Stahlkästen, die per Knopfdruck Kippen ausspucken, eine großzügige Ausnahme.
Vor rund zwei Jahren brachte das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) nach einer EU-Vorgabe die sogenannte Tabakerzeugnisverordnung auf den Weg. Der Gesetzgeber legte damit unter anderem fest, dass eine Fläche von mindestens zwei Dritteln der Zigaretten-Päckchen mit Schockbildern und schriftlichen Warnhinweisen bedeckt sein muss. Die gesundheitlichen Risiken sollten Verbrauchern vor dem Kauf der Kippen stets vor Augen geführt werden.
Dass die Warnhinweise ihren Zweck erfüllen, legt eine Analyse der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 2014 nahe. Die Autoren werteten dafür Studien aus verschiedenen Ländern zur Wirksamkeit der Warnhinweise auf Tabakwaren aus. Das übereinstimmende Ergebnis der Wissenschaftler: Vor allem die Bilder halten effektiv und nachhaltig vom Griff zur nächsten Zigarette ab.
Die Händler versuchten zunächst – und wenig überraschend – das Gesetz auf kreative Weise zu umgehen: Sie steckten bunte Produktkarten vor die Schachteln in den Regalen. Damit wollten sie die Warnhinweise verdecken und von den gesundheitlichen Risiken ablenken. Diesem Treiben schob der Gesetzgeber allerdings im Mai vergangenen Jahres einen Riegel vor.
Schockbilder hinter einer Stahlwand versteckt
Die Verordnung wurde um einen Zusatz ergänzt. Darin heißt es: Die Bilder müssen während des „Anbietens zum Verkauf“ sichtbar sein – und zwar in voller Größe. Die Bilder sollen nämlich die Kaufentscheidung maßgeblich beeinflussen. So begründen die Experten ihre Entscheidung. Die Produktkarten sind inzwischen aus den Ladenregalen verschwunden.
Doch die Automaten stehen weiter an Straßen, in Kneipen, und überall dort, wo Kunden die nächste Kippe erwerben wollen. Über die Hälfte der europäischen Zigarettenautomaten stehen in Deutschland. Das sind so viele wie in keinem anderen Land der EU.
Dass die Schockbilder auf den Päckchen hinter einer dicken Stahlwand versteckt sind, scheint kaum einen zu stören. Verbraucher sehen sie nämlich erst dann, wenn sie sich zum Kauf entschieden haben – und der Automat das Geld bereits geschluckt hat.
Johannes Spatz, Forum Rauchfrei
Raucher können auch deshalb ihre Kippen noch an Automaten ziehen, weil die Länder die Tabakerzeugnisverordnung nur halbherzig umsetzen. Der einheitliche Vollzug der Verordnung wird von den für den Verbraucherschutz zuständigen Landesbehörden in der Landesarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz (LAV) koordiniert. Im vergangenen Oktober standen die Automaten auf der Agenda der Arbeitsgemeinschaft.
Aktivist Spatz fordert Verbot der Automaten
Die Experten kommen darin zu dem Schluss: Es handele sich um einen „Verstoß“ gegen die Tabakerzeugnisverordnung. Dieser könne aber durch das Anbringen von Warnhinweisen auf den Automaten „kompensiert“ werden. Die Warnhinweise müssten deshalb an „prominenter Stelle“ angebracht werden. Nicht erwähnt wird allerdings, was genau damit gemeint ist oder wie groß die Warnhinweise sein müssen.
Der Beschluss hatte Folgen: An den meisten Automaten klebt seitdem ein Warnhinweis in der Größe einer Zigarettenschachtel. Fraglich ist, wie wirksam diese Hinweise sind. Denn: Setzt man die Größe der Warnhinweise zu den vorgeschrieben Flächen von zwei Dritteln auf der Schachtel ins Verhältnis, sind die Aufkleber winzig und gehen neben den leuchtenden Tasten mit den verschiedenen Marken schnell unter.
„Die Warnhinweise auf den Automaten reichen nicht aus“, sagt Nichtraucher-Aktivist Johannes Spatz vom Forum Rauchfrei. „Die Kaufentscheidung fällt in dem Moment, indem ich auf die Taste drücke.“ Und bei den Zigarettenautomaten würden die Warnhinweise eben tatsächlich im Moment des Kaufes kaum wahrgenommen. „Die Automaten müssen verboten werden“, fordert Spatz. Ähnlich sieht es das „Aktionsbündnis Nichtrauchen“. Die Aktivisten gehen zudem davon aus, dass der Verkauf von Zigaretten über die Automaten „rechtswidrig“ sei.
Das auf Bundesebene zuständige Bundesernährungsministerium gibt dazu auf Anfrage keine eindeutige Antwort. Ob ein Verstoß vorliege, müsse im Einzelfall durch die Behörden der Bundesländer überprüft werden, heißt es. Aus einem Schreiben, das der taz vorliegt, geht allerdings hervor, dass Ministeriumsmitarbeiter davon ausgehen, dass die Automaten – selbst wenn sie mit den kleinen Warnhinweisen versehen sind – gegen die Verordnung verstoßen.
28 Millionen Euro für Tabakwaren
Die Tabak-Industrie sieht das natürlich anders. Aus rechtlicher Sicht sehe man keinen Handlungsbedarf, teilt der „Bundesverband Deutscher Tabakwaren-Großhändler und Automatenaufsteller“ auf Anfrage der taz schriftlich mit. Dass die Automaten inzwischen überhaupt mit den Warnhinweisen versehen sind, bezeichnete der Verband als „Zeichen der Bereitschaft“ und „des guten Willens“.
Schätzungen zufolge geben die Deutschen jedes Jahr rund 28 Milliarden Euro für Tabakwaren aus. Etwa 19 Millionen Menschen bezeichnen sich als regelmäßige Raucher. Durch die Schockbilder ging zwar ihre Zahl zurück. Doch die Umsätze der Tabakindustrie sind nach wie vor hoch.
Die Automaten sind für den Absatz der gesamten Tabak-Branche von enormer Bedeutung: Rund zehn Prozent aller Zigaretten werden in Deutschland über die Maschinen in Kneipen, Restaurants oder auf der Straße verkauft. Deutschland hält damit an einem Relikt aus vergangenen Tagen fest. Denn in vielen EU-Staaten sind die Automaten schon lange abgebaut. Zuletzt diskutierte man im Nachbarland Österreich über ein Verbot der Maschinen.
Solange die Automaten in Deutschland noch herumstehen, wird auch Nichtraucher-Aktivist Spatz nicht ruhen. In regelmäßigen Abständen zeigt er die Automatenbetreiber bei den Ordnungsbehörden an – bisher ohne Erfolg.
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