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Kreative Zuschreibungen

„Apfelbäumchen pflanzen“, „Wer zu spät kommt“, „No sports“: Vorsicht vor lebensklugen Zitaten! Sie sind oft komplett erfunden

Martin Rasper:„‚No sports‘ hat Churchill nie gesagt“. Ecowin, München 2017, 190 S., 18 Euro

Von Bernd Müllender

Zur bildungsbürgerlichen Attitüde gehört es, gelegentlich ein klassisches Bonmot einzustreuen. Oder ein launiges Zitat in bierseliger Runde wiederzugeben. „Hat ja der oder die schon gesagt …“ Lacher und Nicken sind garantiert. Doch Vorsicht! Vieles ist Fake, aus verschiedenen Gründen über Jahrzehnte entstanden, erlogen, ausgedacht, verfälscht oder viel später einem Großen zugeschrieben.

Martin Rasper hat 22 klassischen Zitaten hinterher recherchiert und festgestellt: Nichts als Zuschreibung, Verdrehung, Fama. Ob Lübkes „Mein Damen und Herren, liebe Neger!“ (mutmaßlich im Spiegel-Umfeld erfunden), Luthers Spruch vom Apfelbäumchen und auch sein „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“ Oder Brecht: „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.“

Der Münchner Journalist und studierte Geologe hat in Primärquellen gegraben, so noch möglich mit Zeitzeugen oder Biografen gesprochen, die Exegese eines Zitates aufgeschrieben, im schlechteren Fall hat er einfach keine Quelle finden können. Immer gibt er einen Wahrheitsgehalt an (oft null), einen subjektiven Kreativitätsgrad, nennt oder mutmaßt den Urheber der Verfälschung und schreibt auf, was der falsch Zitierte zum Thema wirklich gesagt hat. Und er beschreibt seine oft mühseligen wie kuriosen Recherchen.

Im besten Fall kann Rasper herleiten, wie es zum falschen Satz kam. So wie bei Brandt und Gorbatschow. „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ hat der sowjetische Glasnoster nicht gesagt, nur Gedanken in die Richtung formuliert, die dann sein sehr kreativer Sprecher Gennadi Gerassimow später im Pingpongspiel mit Journalisten auf den Punkt formuliert hat. Oder Willy Brandt: „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört.“ Hat er 1989 nur so ähnlich gesagt in einem Radiointerview (das kaum jemand richtig wahrnahm) und gar nicht explizit die beiden Deutschländer gemeint. Erst eine SPD-Wandzeitung brachte Wochen später den verkürzten Satz („Willy Brandt, 10. 11. 1989“). Klarer Fall von Zuschreibung.

„No sports“ – so Winston Churchill. Das Verdikt ist kurioserweise bei uns geflügeltes Wort (seit 1991 in der taz 17-mal tapfer zitiert, einmal mit dem Hinweis „No sports, echter Churchill“), in England aber völlig unbekannt. Der Premier war emsiger Reiter, Schwimmer, Polospieler.

„Fußball ist wie Schach, nur ohne Würfel.“ Stammt dieser wunderbar verquere Satz tatsächlich wie überall behauptet von Podolski?

Sein Bild in Nazideutschland war das eines schwergewichtigen Poltergeistes, emsigen Rauchers, unbeugsam, laut, lügnerisch. Zudem war sein Alkoholkonsum sagenhaft. Aber Nichtsport als Lebensmaxime? Gesagt hat er: „Ich bin deshalb so fit, weil ich ständig als Sargträger für meine Freunde fungieren muss, die ihr Leben lang trainiert haben.“

Und gleich noch mal Churchill: „Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.“ Sehr witzig, sehr kreativ – aber der Satz (in England ebenfalls unbekannt) entstammt vermutlich teilweise der Nazipropaganda von 1940/41, schreibt Raster und zitiert (hoffentlich korrekt) einen Forscher: „Goebbels’ langer Arm reicht offenbar – wenn auch für die meisten Verwender unbewusst – bis in die heutige Zeit.“

Schließlich Lukas Podolski: „Fußball ist wie Schach, nur ohne Würfel.“ Der wunderbar groteske Satz (Raspers Kreativitätsgrad: maximale 5 Sterne) ist 2005 vom jungen Jan Böhmermann dem Kölner Kicker in den Mund gelegt worden. Was überhaupt hat Podolski mit Würfeln zu tun? Nichts. Wenn schon hätte Poldi sicher gesagt: Fußball ist wie Schach, nur ohne König. Sondern mit einem Prinzen.

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