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Lesung und Konzert von Esther BejaranoÜberlebende mit Mission

Esther Bejarano überlebte Auschwitz, weil sie Akkordeon im Mädchenorchester spielte. Nun singt sie mit einer Hip-Hop-Band über Rassismus.

Esther Bejarano und ihr Sohn (links) machen seit zehn Jahren gemeinsam Konzerte Foto: Gina Seitz

BREMEN taz | „Auschwitz.“ Mit dieser Ortsmarke beginnt die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano die Lesung aus ihrem Buch Erinnerungen. Diese Ortsangabe genügt, das Publikum in der Begegnungsstätte Lemwerder hört der 93-Jährigen an diesem Mittwochabend gespannt zu. Ihre Schilderungen sind schrecklich. Sie beginnen mit der Deportation in den Todeszügen, der Selektion auf der Rampe und gehen weiter mit dem Sadismus der SS, als diese jüdische Menschen „direkt ins Gas“ schickte.

All dies liest Bejerano mit klarer, nüchterner Stimme vor: „Nackt wurden uns die Haare abgeschoren. Wir weinten vor Scham. Dann wurden uns die Häftlingsnummern auf den Arm tätowiert. Ich bekam die 41.948. Namen wurden abgeschafft, wir waren nur noch Nummern.“

Bei der Schilderung des industriellen Massenmords ist es still im Saal. Viele junge Menschen sind gekommen, SchülerInnen, aber auch ältere Menschen und Regina Neuke – die Bürgermeisterin von Lemwerder. Leana Taborsky, eine Schülerin der zehnten Klasse, sagt später: „Es ist was ganz anderes als Geschichtsunterricht, wenn man sich wirklich vorstellt, dass diese Frau die Hölle durchgemacht hat.“

Der Text, den Bejarano aus ihrem Buch „Erinnerungen – vom Mädchenorchester in Auschwitz zur Rap-Band gegen rechts“ vorliest, ist Teil eines außergewöhnlichen Programms. Zusammen mit dem antifaschistischen Rapper Kutlu von Microphone Mafia und ihrem Sohn Joram Bejarano folgt auf die Lesung ein Konzert.

Esther Bejarano singt dabei zwischen antifaschistischen Rap-Parts von Kutlu alte Volkslieder in jiddischer Sprache und antifaschistische Protestlieder. Die Musikerin, die in Auschwitz von den Nazis gezwungen wurde, im Mädchenorchester Akkordeon zu spielen für diejenigen, die vergast werden sollten, hat nicht aufgehört, Musik zu machen.

Ich bekam die 41.948. Namen wurden abgeschafft, wir waren nur noch Nummern

Esther Bejarano, Schoah-Überlebende

Was treibt eine 93-jährige Frau an, immer wieder von den eigenen Traumata zu erzählen? Die Antwort gibt Esther Bejarano selbst: Sie habe einen Auftrag. Ihre Aufgabe sei es, Zeugnis darüber abzulegen, was in Auschwitz unter den Nazis passiert ist. Das hat sie ihren Mithäftlingen im Vernichtungslager versprochen, die ihr dazu rieten, sich zu melden, als Frauen gesucht wurden, die Anteile „arischen Bluts“ hätten, um in ein anderes Konzentrationslager verlegt zu werden. Sie sagten: „Vielleicht überlebst du, und kannst allen erzählen, was wir hier passiert.“ Esther Bejarano hielt ihr Wort. Dafür gibt es an diesem Abend Applaus.

Zu Bejaranos Programm gehört der Bildungsauftrag. Vor dem Konzert hatte sich der zehnte Jahrgang des Gymnasiums Lemwerder mit dem Gedenken an die Schoah auseinandergesetzt und mit ihr und Kutlu über Vergangenheit und Gegenwart von Rassismus in Deutschland gesprochen. Für den Rapper, der während des Nagelbombenanschlags des NSU in der Kölner Keupstraße lebte, ist der Alltagsrassismus das Problem: Wenn Medien von „Dönermorden“ schreiben und die Polizei im Opferumfeld ermittelt und von Ausländerkriminalität ausgeht, sei das Ausdruck einer Täter-Opfer-Umkehr.

„Mich erstaunt es immer wieder, wenn Schüler noch nie vom NSU gehört haben“, sagt Kutlu. Umso besser sei es, wenn SchülerInnen sich daraufhin kritisch mit diesen Themen auseinandersetzten. Die ZehntklässlerInnen wollen ein Zeichen setzen und regten an, eine Straße in Lemwerder in Halitstraße umzubenennen – nach dem NSU-Opfer Halit Yozgat.

Lemwerders Bürgermeisterin Neuke versprach immerhin, den Vorschlag in den Rat einzubringen.

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