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„Die Auflistung ist vollständig“

Der Berliner Filmpublizist Frank-Burkhard Habel hat ein umfangreiches Defa-Filmlexikon herausgegeben.Ein Gespräch über DDR-Indianerfilme in Amerika, sozialistische Propaganda und Nacktszenen-Freizügigkeit

Interview Gunnar Leue

taz: In Ihrem Lexikon haben Sie rund 900 Filme aufgeführt. Kann man sagen, dass die Auflistung vollständig ist oder gibt es noch verschwundene, unentdeckte Defa-Spielfilme?

Frank-Burkhard Habel: Die Auflistung ist hundertprozentig vollständig, was die etwa 800 reinen Defa-Spielfilme betrifft. Aber ich habe das Spektrum auch um Filme erweitert, die für das DDR-Fernsehen produziert wurden, sofern sie ins Kino gekommen sind. Außerdem um Kinoproduktionen, die nicht immer als Defa-Produktionen galten, selbst wenn die Defa großen Anteil daran hatte, wie beim sowjetischen Fünfteiler „Befreiung“ von Juri Oserow oder „Front ohne Flanken“ von Igor Gostjew. In dem wirkten viele Defa-Schauspieler mit und große Komplexe wurden bei der Defa gedreht. Gerade viele sowjetische Filme wurden mit Unterstützung der Defa gedreht, und obwohl die auch in der DDR liefen, wurden die selbst in der Fachpresse gar nicht groß als Defa-Produktionen publiziert.

Die Defa hatte das Monopol in der DDR-Spielfilmproduktion. Als Traumfabrik der DDR kann man sie aber wohl kaum bezeichnen.

Nein. Sie hatte jedoch auch nie die Absicht, Traumfabrik zu sein. Ihr Anspruch war es, ein Spektrum abzudecken, wozu natürlich viel sozialistische Propaganda gehörte. Sie hat auch viele anspruchsvolle Themen aufgegriffen, weil sie sich einer Art Bildungsauftrag verschrieben hatte. Deshalb wurden viele Literaturverfilmungen und antifaschistische Filme produziert, in denen auch das Schicksal von Juden thematisiert wurde, wie in „Jakob der Lügner“, der einzige je für den Oscar nominierte Defa-Film. Weil die Defa aber auch einen Plan zu erfüllen hatte beim Erreichen von Zuschauern und die natürlich lieber in die unterhaltenden Filme gingen, wurden von denen etliche produziert. Das Verhältnis hielt sich etwa die Waage, vielleicht gab es sogar etwas mehr unterhaltende Filme, die zum Teil auch vom Alltag in der DDR erzählten, ohne die schöne sozialistische Gegenwart auf rosarote Art zu zeigen.

47 Jahre Defa-Spielfilmproduktion lassen sich sicher auch kaum über einen Kamm scheren, oder?

In der Zeit gab es natürlich verschiedene Phasen. Gerade in den 50er Jahren stand das gesellschaftliche Sein sehr im Vordergrund: Viele Filme drehten sich um die sozialistische Produktion, und auch die Liebespaare waren immer mit der Planerfüllung beschäftigt.

Es fällt auf, dass zwar etliche Defa-Filme die Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau in der sozialistischen Gesellschaft thematisierten, aber auf den Regiestühlen kaum Frauen saßen.

Das stimmt, Iris Gusner oder Hannelore Unterberg gehörten zu den wenigen Regisseurinnen von Defa-Spielfilmen. Ingrid Resch­ke, die den Film „Die Legende von Paul und Paula“ vorbereitet hatte, verstarb leider nach einem Autounfall. Wer weiß, die hätte den Film vielleicht etwas anders gedreht, als es dann Heiner Carow an ihrer Stelle – allerdings auch sehr gut – machte. Frauen durften häufiger Kinderfilme drehen. Ein fast tragisches Beispiel ist auch Evelyn Schmidt, die nach ihrem Film „Das Fahrrad“ von 1982 – einem sehr realistischen Film über den grauen DDR-Alltag einer jungen Frau – im Grunde keine Aufträge mehr bekam. Sie wurde deshalb Assistenzregisseurin bei männlichen Kollegen, bis sie 1990 doch noch mal einen Spielfilm drehen konnte.

Das Segment der verbotenen Filme ist ein spezielles Defa-Kapitel. Trägt dafür allein die damalige Politik Verantwortung oder waren die Defa-Oberen auch willfährig als Filmverhinderer?

Das kann man nicht so sagen. Was die Filme aus den Jahren 1965/66 betraf, so hatten die Defa-Verantwortlichen sie ja bewusst in Produktion gegeben. Die Verbote kamen von der großen Politik, von Ulbricht, Honecker und Co., die überraschend auf dem 11. ZK-Plenum die Parole ausgaben, dass es mit der Liberalität und gesellschaftlichen Kritik nun vorbei sein müsse. Deshalb sind dann auch bei der Defa ganz oben Köpfe gerollt.

Zur Defa-Geschichte gehört – was viele nicht wissen – auch der erste deutsche Nachkriegsspielfilm: „Die Mörder sind unter uns“ von 1946, unter anderem mit Hildegard Knef.

Das kam, weil die Sowjetunion das Medium Film als gute Möglichkeit sah, die Leute umzuerziehen. Deswegen wurde in ihrer Besatzungszone früh eine Lizenz zur Filmproduktion erteilt, während sich die Westmächte in ihren Zonen mehr Zeit ließen, weil sie die deutsche Filmindustrie nicht hochkommen lassen, sondern mit ihren eigenen Filmen Geld verdienen wollten. Interessant ist übrigens, dass heute in den USA fast sämtliche Defa-Filme auf DVD, englisch untertitelt, erhältlich sind. Durch die Defa Film Library ist ein Interesse geweckt worden, das dazu führte, dass es inzwischen auch einen kalifornischen Filmwissenschaftler – Jim Morton – gibt, der in seinem Defa-Blog monatlich einen Film bespricht und mit der amerikanischen und internationalen Filmkunst in Verbindung setzt. Dabei macht er manchmal Entdeckungen, über die wir hinweggegangen sind.

Im eigenen Land scheint das DDR-Filmerbe teilweise weniger Beachtung zu finden. Im MDR laufen öfter Defa-Filme, in ARD und ZDF praktisch nichts.

Ja, bei denen läuft jedes Jahr „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, und das war’s.

Bernd Lasdin
Frank-Burkhard Habel

ist geboren und aufgewachsen in Berlin-Prenzlauer Berg, wo er seit den 60er Jahren häufig ins Kino ging. Sein Berufswunsch war eigentlich Schauspieler, was er auch ohne Studium bis heute immer wieder in kleinen Rollen ist. Eine Zeit lang arbeitete er beim DDDR-Fernsehen als Aufnahmeleiter, später beim Staatlichen Filmarchiv der DDR nach einem filmhistorischen Studium an der HFF Potsdam-Babelsberg. Seit Ende der 70er Jahre ist Habel auch Filmpublizist, seit 2002 Stellvertretender Vorsitzender des Berliner Film- und Fernsehverbandes.

Waren die Märchen- oder die Indianerfilme das kommerziell erfolgreichste Defa-Genre?

Auf jeden Fall die Indianerfilme. Die haben ihre Kosten immer eingespielt und wurden in die halbe Welt verkauft, bis in arabische und afrikanische Länder. Sogar im britischen BBC-Fernsehen liefen die in den Achtzigern. Nur im Indianerland USA nicht. Nach der Wende gab es dort aber immerhin ein Defa-Indianerfilmfestival, zu dem Goj­ko Mitićeingeladen war.

Sie gehörten 1991 zu den Mitbegründern des Filmfestivals Cottbus, das sich der östlich geprägten Filmkunst widmet. Ist es damit in gewisser Weise auch eine kleine Reminiszenz an die Defa-Tradition?

Mir geht immer das Herz auf, wenn ich die spezielle filmische Handschrift wiedererkenne, die man in Osteuropa gepflegt hat und zum großen Teil noch weiter pflegt. Dazu gehören das liebevolle Erzählen über Personen und manchmal auch die langsamen Kameraeinstellungen oder Schnitte.

Neben den Spielfilmen hat die Defa auch 750 Animationsfilme sowie 2.250 Dokumentar- und Kurzfilme produziert, dazu Tausende ausländische Filme synchronisiert. Welches große Filmgenre hat die Defa eigentlich nicht bedient: Porno vermutlich?

Mir sind keine Pornofilme von der Defa bekannt, aber die Darstellung nackter Menschen war bei der Defa keineswegs so verkrampft wie teilweise im Westen. Dort gab es Vertreter des Neuen Deutschen Films in den 60er und 70er Jahren, die aus Abgrenzung von den Softpornos wie „Schulmädchen-Report“ absichtlich so gut wie keine Nackten gezeigt haben. Das lief bei der Defa lockerer, ich denke an Filme wie „Hostess“ oder „Einfach Blumen aufs Dach“. Da war die Schamgrenze nicht so weit gezogen. Schon in den 50er Jahren konnte das Publikum in einem Sportlerfilm Fußballer nackt duschen sehen.

„Das große Lexikon der Defa-Spielfilme“, zwei Bände, Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf,1.152 Seiten, 99,99 Euro

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