„Das führt zu Radikalisierung“

Die Konrad-Adenauer-Stiftung will Ultras ächten. Fanforscher Gunter Pilz hält das für Quatsch

Foto: Emily Wabitsch

Gunter A. Pilz, 73, ist Soziologieprofessor und forscht zu Fankultur sowie Gewalt und Sport.

Interview Gareth Joswig

taz: Herr Pilz, die Konrad-Adenauer-Stiftung will, dass Ultras ebenso wie Hooligans geächtet werden. Ist das sinnvoll?

Gunter A. Pilz: Man muss differenzieren. Die Ultrakultur umfasst ein sehr breites Spektrum zwischen rechts und links, zwischen friedlich, bunt aggressiv und gewalttätig. Man wird der Kultur nicht gerecht, indem man sie verdammt, denn ihr überwiegender Teil ist friedlich. Anders als bei Hooligans.

Welche Binnendifferenzierungen gibt es?

In unseren Studien sprechen wir von unterschiedlichen Kulturen: Es gibt eine Zuneigungskultur, die sich in bunten Fan-Choreos und Gesängen äußert. Viele Ultras leben auch eine Wohltätigkeitskultur: Hannover-96-Ultras waren nach einer Auswärtsfahrt in die Ukraine von der Armut geschockt und sammelten Spielzeug im Wert von über 10.000 Euro für ukrainische Kinder, die sie per Lastwagen selbst dorthin brachten. Es gibt eine Protestkultur – sie ist Seismograf für Fehlentwicklungen im Fußball wie der Kommerzialisierung.

Sind es nur konstruktive Kulturen?

Es gibt es auch eine unappetitliche Seite: Eine Pöbelkultur, die sich in Beschimpfungen der Gegner äußert, und es gibt auch eine kleine Gewaltkultur – das sind aber nur fünf Prozent.

Die Adenauer-Stiftung führt an, dass Ultras seit 2015 an 60 Prozent der Straftaten bei Fußballspielen beteiligt waren – Hooligans nur an 20 Prozent.

Das sind irreführende Zahlen: Wie viele Hools gibt’s denn in Bremen? 20 bis 60. Und wie viele Ultras? 5000 bis 6000. Man merkt sofort: Die Statistik ist sehr schief. Zudem ist ein Großteil der von Ultras begangenen Straftaten das Abbrennen von Pyrotechnik – das kann man nicht mit Gewalttaten von Hooligans gleichsetzen.

Geht die Polizei richtig mit Ultras um?

Nein. Ein repressives Polizeikonzept mit enger Begleitung von 1.000 voll ausgerüsteten Polizisten bei Hochrisikospielen wie in Bremen sorgt dafür, dass Ultras immer mehr gegängelt werden, ihre Emotionen auszuleben. Das führt statt zu einer Befriedung zu einer Radikalisierung eines Teils der Ultras, der sich in der Folge absplittet und auch zu Gewalt neigt.

Was ist die Alternative?

Es gibt funktionierende Modelle: In Hannover wurde lange Konfliktmanagement praktiziert. Die Gäste-Fans bekamen vor dem Spiel eine Einladung per Mail von der Polizei , in der neben einer netten Begrüßung genau stand, was erlaubt ist und was nicht. Sie wurden dann auf dem Weg zum Stadion nur von fünf Konfliktmanagern begleitet, die Ansprechpartner waren.

Und wenn es doch eskaliert?

Wenn jemand über die Stränge schlug, machten sie eine Ansage, dass notfalls eine Hundertschaft anrücken müsse. 80 Prozent der Einsätze waren nicht mehr erforderlich. Bei den Hochrisikospielen etwa gegen Werder kam Hannover mit 400 Polizisten aus – statt wie vorher mit 1000.

„Gewalttätige Ultras in die Schranken weisen“, Podiumsdiskussion, 19 Uhr, Konrad-Adenauer-Stiftung, Domshof 22