: Krude, bescheuert, wunderbar
Drei Großschauspieler in einer Räuberpistole – gut so: Da können sie ganz groß aufspielen („Die vermisste Frau“, ARD, 20.15 Uhr)
Von Jens Müller
Eine Frau liebt ihren Mann so sehr, dass sie sich umbringen will, damit er die Lebensversicherung kassieren kann. Der Mann liebt nur sich selbst, er hat bereits einen Killer beauftragt, sie umzubringen, damit er die Lebensversicherung kassieren kann. Der Killer bringt die Frau nicht um und davon ab, sich umzubringen, damit sie gemeinsam überlegen, wie sie die Lebensversicherung kassieren können.
„Ein preisgekröntes Darstellertrio in Bestform und eine raffinierte Story zeichnen den TV-Thriller ‚Die vermisste Frau‘ aus“, schreibt die ARD. An dem Eigenlob stimmt nur die – erste – Hälfte. Die Story ist eine hanebüchene Räuberpistole. So muss es auch sein, denn so allein können die drei engagierten Großschauspieler so hemmungslos dick auftragend groß aufspielen.
Trifft sich also die Frau, die sich erst für ihn erschießen und dann ertränken wollte, mit ihrem Mann. Der an ihr Auto bereits das „Zu verkaufen“-Schild gepappt hat. In dessen Bett schon eine andere liegt. Deren nicht zimperlichen Zuhältern er Geld schuldet, weshalb er gegenüber dem Mann von der Versicherung auch gleich zur Sache kam: „Wie wär’s mit’nem Vorschuss? Also, nicht viel. Als Anzahlung.“ Umarmt er sie stürmisch: „Oh Gott! Erst bist du tot, dann bist du wieder lebendig. Karen, so einfach ist das für mich auch nicht!“
Was für ein lächerliches Würstchen. In welchem „Tatort“ hätte es je einen würdeloseren Bösewicht gegeben? Im Dortmund-„Tatort“ gibt dieser Jörg Hartmann seinen Kommissar Faber regelmäßig hart an der Grenze zum Borderliner. Der lieblose Ehegatte hier, der nichts lieber will, als seine Frau loszuwerden, kommt da schon eher nach dem charakterlosen Stasi-Apparatschik, als der Hartmann in der Serie „Weissensee“ einem größeren Fernsehpublikum bekannt wurde. Nur dass der sich nicht so blöd angestellt hat.
Was für Welten müssen zusammenbrechen, als die Erkenntnis die Frau trifft wie das helle Licht. Zum Glück ist da der Killer an ihrer Seite. Sie: „Er wollte mich umbringen.“ Er: „Ich Sie auch.“ Sie: „Das ist was anderes. Das war nichts Persönliches.“ Und aus dem selbstaufopferungswilligen Heimchen wird ein professionell angeleiteter Racheengel.
Ähnlich cool wie jene „Eva Blond“, die Corinna Harfouch einmal im Auftrag von Sat.1 gespielt hat – vor langer Zeit, als der Kuschelsender einmal Autoren wie Sascha Arango und Regisseure wie Achim von Borries und Matthias Glasner beauftragt hat. Spezialisten für das Abgründige, wie offenbar Horst Sczerba, Autor und Regisseur von „Die vermisste Frau“. Sczerba: „Eine Tragödie ohne Komik ist ein Trauerspiel, und eine Komödie ohne Tragik ist eine platte und witzlose Klamotte.“
Vermutlich hilft eine langjährige Theatererfahrung beim – nein, nicht beim Ausbalancieren, beim theatralischen Aufschaukeln von Komik und Tragik. Jörg Hartmann war vor seinem Durchstart im Fernsehen zehn Jahre lang festes Ensemblemitglied an der Berliner Schaubühne. Corinna Harfouch ist da auch aufgetreten – und an der Volksbühne und am Deutschen Theater, wo sie „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ gespielt hat, zusammen mit Ulrich Matthes.
Der jetzt der Killer ist; eine Sorte, deren berühmtester Vertreter „Der eiskalte Engel“ war. Im Original von 1967 hieß der Film „Le samouraï“. Jef Costello/Alain Delon hatte als Auftragsmörder ein strenges Berufsethos, wie ein Samurai. Seitdem haben Filmkiller oft einen Asienfimmel. Sie sind schweigsam und sie sind auf etwas altmodische Art elegant gekleidet, mit Trenchcoat und Borsalino. Jeder Filmkiller nach 1967 ist ein Kommentar auf den Samurai. Jeder Autor, Regisseur und Schauspieler weiß das. Hier steht Ulrich Matthes einmal im schwarzen Trench in einem Laden und interessiert sich für so eine gusseiserne japanische Teekanne. Sein Naturtalent als Mörder hat er einst in einem Chinarestaurant entdeckt.
„Die vermisste Frau“ ist ein kruder, ein bescheuerter, ein wunderbarer Film. Zur rechten Zeit am rechten Ort: auf dem Sendeplatz am Freitagabend – nach zwei Wochen mit der „Inselärztin“ auf Mauritius. Oder wie es der Mann von der Versicherung bei der Barauszahlung der Lebensversicherung formuliert: „Ich weiß, es wird Ihren Schmerz nicht vertreiben. Aber ein Pflaster ist es schon.“
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