Die Wahrheit: Integration im Stinkstiefelland
Ein Schwarzer auf einem Fahrrad fühlt sich von einem Auto verfolgt. Schließlich kreuzen sich die Wege erneut, der Verfolger setzt ein irres Grinsen auf …
D er Aldi-Parkplatz war gut gefüllt, vornehmlich mit Fahrzeugen von Berufspendlern, die sich hier zu Fahrgemeinschaften zusammenfanden. Die Milliardärsfamilie Albrecht versuchte sie schon eine Weile aus ihrem Einkaufsparadies zu vertreiben, hatte sogar Verbotsschilder aufgestellt, aber sie kamen einfach weiterhin hierher und behinderten die Kunden beim großen Einholen. Sie hatten meine volle Sympathie. Das arbeitende Volk muss zusammenhalten, auch wenn es manchmal nervt.
Heute zum Beispiel. Vom Konsumdruck gebeutelt, hielt ich Ausschau, fand aber keinen freien Platz. In meiner Ungeduld fuhr ich einem Fahrradfahrer etwas zu dicht hinten auf, er drehte sich ängstlich um zu mir und trat energisch in die Pedale. Ein sehr dunkelhäutiger Mensch. „Schwattz“ hätte mein Vater seine Hautfarbe genannt. Er unterscheidet nämlich sehr genau zwischen Dunkelhäutigen, das sind bei ihm ganz lapidar „Schwarze“, und Menschen mit tiefdunkler Hautfarbe. Die sind „schwattz“, und seine Augen leuchten dabei mit jungenhaftem Staunen. Er meint das nicht böse, hier schwingt immer noch die selige Verblüffung des Kriegskindes mit, das sein erstes Kaugummi von einem sehr schwarzen, sehr freundlichen GI geschenkt bekommt.
Ich suchte weiterhin nach einem Parkplatz und verfolgte den Fahrradfahrer. So muss es ihm jedenfalls vorgekommen sein, denn immer wieder warf er einen ängstlichen Blick über die Schulter. Er fühlte sich gehetzt von mir, und sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen. Vermutlich gehörte er zu den Asylbewerbern, die in der Nachbarschaft vorläufig Unterkunft gefunden hatten. Was sollte der Mann bloß von mir denken?
Schließlich fand ich eine leere Bucht, parkte ein und ging zum Haupteingang. Der Schwattze hatte inzwischen sein Fahrrad abgestellt und kam mir entgegen, noch einmal also kreuzten sich unsere Wege. Ich setzte mein Sonntagslächeln auf und legte alles an kosmopolitischer Gesinnung hinein, zu der ich fähig war. Ich gehöre nicht zum Deutschtümler-Gesocks, sollte das heißen, ich bin nicht gegen dich, im Gegenteil, du bist mir erwünscht und selbstredend auch deine Familie und Freunde, alles groovy, und die bessere Musik habt ihr auch! Aber mein irres Gegrinse muss ihn noch mehr verstört haben. Er runzelte die Stirn und sah mich eine Weile an. Als er erkannte, dass von diesem armen Irren keine Gefahr ausging, fragte er teilnahmsvoll: „Na, alles klar, mein Freund?“
„Jau“, sagte ich, hochbeglückt darüber, dass er mir nichts nachtrug. „Und selbst so?“ Jetzt machte er ein Gesicht, das es nur in Niedersachsen gibt. Eine vom Pisswetter und der unglaublichen Eintönigkeit dieses Landstrichs vermurkste Stinkstiefelvisage, die dem Lebensekel der Menschen hier eine adäquate Form gibt. „Muss ja“, schnauzte er, und dabei warf seine Rechte etwas Unsichtbares an die Seite. Die typische Geste des hiesigen Landmannes. Maximale Ablehnung. Ich war glücklich. Die Integration ließ sich gut an – hier in Niedersachsen.
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