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In Männerwelten

Volles Programm am Wochenende: Am Samstag Bizets „Carmen“ in der Deutschen Oper, neu inszeniert von Ole Anders Tandberg, und am Sonntag erlebte man Calixto Bieito mit „Die Gezeichneten“ von Franz Schreker in der Komischen Oper

Clémentine Margaine als „Carmen“ in der Deutschen Oper Foto: Marcus Lieberenz

Von Niklaus Hablützel

Die gute Nachricht zuerst: Clémentine Margaine singt in der Deutschen Oper die Rolle der Carmen. Deswegen muss sie schon am Anfang durch die „Habanera“ hindurch, den ewigen Schlager, der seit 140 Jahren unvermeidbar den Ölschinken der glutäugig dekolletierten Zigeunerin aus dem Fundus unseres schlechten Geschmacks holt. Bei Margaine ist das nicht so. Eine junge Frau möchte nach einem harten Tag in der Fabrik auch mal ein wenig Spaß haben. Sie möchte frei sein und geliebt werden, beginnt zu singen, fröhlich und leicht: „Die Liebe ist ein wilder Vogel.“ Sie auch, sie lacht darüber, und Margains Stimme entfaltet ein ganzes Panorama volkstümlicher Lebenslust, mal frech, dann wieder zart, verspielt und schließlich so kreischend laut, dass der ganze Chor mitsingen muss.

Es ist ein Wunderwerk der Gesangskunst, das die ganze Oper konzentriert in ein einziges Lied. Es wäre das Modell einer Inszenierung, die das allzu bekannte Werk unter den tonnenschwer lastenden Schichten kitschiger Klischees hervorholen könnte für unsere Zeit, die den sozialen Realismus der literarischen Vorlage sehr viel besser zu würdigen wüsste als die Zeitgenossen der Uraufführung von 1875. Aber der Norweger Ole Anders Tandberg hat Clémentine Margaine nicht zugehört. Seine Kostümbildnerin Maria Geber hat die Französin in eine ganz besonders üppige, flammend rote Robe gesteckt, weil der Regisseur wild entschlossen war, aber auch wirklich jedes Klischee dieser Oper möglichst dick aufzublasen. Wenn Soldaten bloß den Mädchen nachschauen wollen, müssen sie gleich das Gitter des Kasernenzauns ficken und ihre Maschinengewehre als erigierte Penisse vor sich her tragen. Die Schmuggler handeln mit Organen, die sie auf offener Bühne aus den Leichen ihrer Mordzüge herausschneiden. Statt Karten liegen Nieren auf Stahltischen, und so geht es immer weiter mit Blut und Hoden, bis zum Ende, das ungewöhnlich lange auf sich warten lässt.

Die Dauerprovokation in der drehbaren Treppenkulisse von Erelend Birkeland ermüdet sehr, nur Clémentine Margaine zeichnet mit genauen Nuancen ihrer Stimme weiter an ihrer Rolle. Der Tenor Charles Castronovo hilft ihr sehr, weil er ihr glaubwürdig einen schüchternen Jungen auf Abwegen zur Seite stellt. Aber alle, auch Heidi Stober, die unglücklich verliebte Micaëla und Markus Brück als Torrero gehen unter in einem Theater, das nur eine Perspektive kennt: Männer auf der Suche nach der ewigen Frau, an der sie dann ganz furchtbar tragisch scheitern.

Lächerlich ist das, und schon am Sonntag danach war in der Komischen Oper besser zu sehen, was dem Meisterwerk von George Bizet mal wieder angetan wurde. Calixto Bieito und die Bühnenbildnerin Rebecca Ringst stellen uns zwei volle Akte lang vor eine weiße Wand aus Gipsplatten. Schwarz-weiße Bilder eines Riesenrads und Kindergesichter sind darauf zu erkennen, davor verhandeln Männer in Anzügen heikle Fragen. Es geht um eine Insel der Lust, den einer von ihnen der Stadt Genua schenken möchte. Peinlich, denn sie kennen den Ort ziemlich gut. Sie vergewaltigen und ermorden dort regelmäßig junge Mädchen. Der Edelmann, dem die Insel gehört, schämt sich nur für seinen Buckel und hat bisher geschwiegen.

Eine aufgeregte, nervöse Musik, die ständig etwas anfängt, aufpustet und zurücknimmt

Männer allein zu Haus also, diesmal in einer imaginären Renaissance. Frank Wedekind hatte sich das 1904 ausgedacht. Es passte in die überreizte Stimmung der Zeit. Noch zehn Jahre danach war der damals sehr berühmte Komponist Franz Schreker so fasziniert von dieser Fantasie sexueller Gewalt, dass er den Text umschrieb, um daraus eine weitere seiner stets erfolgreichen Opern zu machen. Die ewige Frau ist jetzt Künstlerin, die dem Buckligen verspricht, sein schönes Inneres zu malen. Bieto ist brutal. Die Sängerin Ausrine Stundyte muss mit einem Messer den Umriss eines Männerkopfs aus einer der Gipsplatten herausschneiden. Schwerarbeit ist nötig, wenigstens ein kleines Loch in die Schweigemauer männlicher Sexualprojektionen zu schlagen.

Danach dreht sich die Wand nach hinten und öffnet das „Elysium“. Das Wort hängt in Leuchtschrift in der Mitte vor einer Installation senkrechter Leuchtstäbe. Der Boden ist übersät mit aufblasbarem Kinderspielzeug, Riesenenten, Drachen und Gummimonstern. Dazwischen spielen dieselben Männer ihre Spiele weiter, die Künstlerin versucht sich mit einer grünen Riesenpuppe aus Plüsch zu trösten, nimmt dann aber doch lieber den Schönsten aus der Truppe und lässt den Buckligen stehen. Den Neuen erwürgt sie gleich beim Vorspiel, doch tragisch ist hier gar nichts. Wir sind im Kindergarten, weder die große Liebe noch sexuelles Glück haben hier einen Platz.

Bieitos Pointe ist radikal. Männer wollen nicht erwachsen werden, sie schänden lieber Kinder – und bei ihm dürfen es der Aktualität wegen auch Jungen sein. Alarmierend gutes Theater ist das auf jeden Fall, aber es stellt die Frage, warum dieses Zeitdokument neu aufgeführt werden muss? Die Antwort könnte nur die Musik geben, und so bleibt sie in der Komischen Oper offen. Es wird ordentlich gesungen, und Stefan Soltesz holt aus dem Orchester alles heraus, was Schreker hineingepackt hat. Das ist das Problem. Zu hören ist eine aufgeregte, nervöse Musik, die ständig irgendwas anfängt, aufpustet und wieder zurücknimmt, immer darum bemüht, den eigenen, ziemlich holprigen Text mit einem fetten Ausdruck von Gefühlen zu untermalen, die gar keinen Inhalt haben. Anstrengend zu hören, mag aber sein, dass es verdienstvoll ist, diesen vergessenen Zeitgenossen Schönbergs in Erinnerung zu rufen.

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