crime scene
: Bomben und Gedichte

Iori Fujiwara: „Der Sonnenschirm des Terroristen“. Aus dem Japanischen von Katja Busson. Cass Verlag, Löhne 2017, 352 S., 19,95 Euro

Eigentlich ist es ganz beruhigend zu wissen, dass auch in Zeiten der Globalisierung nicht immer alles überall gleichzeitig passiert. Gut Ding darf schon mal Weile haben; und wenn jetzt in einer kleinen Zeitkapsel ein japanischer Kriminalroman zu uns kommt, der in seinem Entstehungsland bereits vor zwanzig Jahren erschien, so muss man sagen: besser spät als nie! Auch englischsprachige Romane brauchen manchmal ähnlich lang für den Weg in die deutsche Sprache.

„Der Sonnenschirm des Terroristen“, für den der im Jahr 2007 verstorbene Autor Iori Fujikawa mit mehreren japanischen Literaturpreisen ausgezeichnet wurde, spielt zu seiner Entstehungszeit, in den neunziger Jahren. Im Hintergrund steht eine zweite Zeitebene: die sechziger Jahre, in denen es, wie sich aus diesem Roman erfahren lässt, auch in Japan Studentenproteste gab. Wenn Fujikawas fiktive Schilderung authentisch ist, handelte es sich jedoch weniger um eine Massenbewegung als um das kurzzeitige revolutionäre Aufbegehren lediglich eines Teils der Studentenschaft.

Auch der Ich-Erzähler gehörte zu den Revoltierenden. Jetzt, drei Jahrzehnte nach der ausgebliebenen Revolution, ist er ein Mann mittleren Alters, der unter dem falschen Namen Shimamura in Tokio lebt und, bevor er abends seine Bar aufschließt, tagsüber bei schönem Wetter mit einer Flasche Whisky in den Park zu gehen pflegt, um sich an der frischen Luft zu betrinken. Bei einem solchen Ausflug lernt er ein kleines Mädchen kennen, das ihm spontan ans Herz wächst, weil es sich von seinem schäbigen Aussehen nicht abschrecken lässt.

Kurz danach geht im Park eine Bombe hoch. Es gibt etliche Tote und viele Verletzte. Shimamura sucht das Kind, findet es bewusstlos auf der Erde liegen und übergibt es einem anderen Mann, bevor er selbst verschwindet. Doch durch sein Eingreifen ist seine Tarnung aufgeflogen. Nach all den Jahren, die er im Untergrund gelebt hatte, wird er plötzlich unter seinem richtigen Namen zur Fahndung ausgeschrieben – erneut, denn bereits dreißig Jahre zuvor hatte man im Zusammenhang mit einer Bombe nach ihm gesucht. Dass er unschuldig war, hätte ein anderer bezeugen müssen …

Als kurz danach eine Abordnung der Yakuza seiner Bar einen Besuch abstattet, ist Shimamura klar, dass nun Schluss ist mit dem ruhigen Leben. Er beginnt auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen und erfährt dabei tatkräftige Unterstützung durch einen Yakuza und eine hübsche junge Frau, deren Mutter bei dem Bombenanschlag ums Leben kam und die früher im Leben des Erzählers eine gewisse Rolle spielte.

Seine Spannung entfaltet der Roman nur zu einem Teil auf der Handlungsebene, obwohl auch dort mächtig was los ist. Beschattungen, Verfolgungsjagden und Prügeleien wechseln sich ab, dass es eine reine Freude für Actionfreunde ist; und die ganze Zeit schafft Shimamura es, seinen Whiskypegel konstant hoch zu halten. Unter dieser sehr handlungsgetriggerten Ebene wirkt jedoch noch eine zweite Kraft: Immer mehr klärt sich die Vergangenheit des Protagonisten, bis es schließlich so weit ist, dass dieselbe ihn in Gestalt einer bestimmten Person eingeholt hat.

Ein intellektueller Säufer mit revolutionärer Vergangenheit als Hauptfigur

Es bewegen sich sozusagen zwei Zeitebenen unaufhaltsam aufeinander zu. Dass die einzelnen Bausteine der Geschichte schließlich ein wenig zu passend ineinander fallen, hat zugegebenermaßen etwas stark Konstruiertes, aber auch eine eigene Schönheit. Vielleicht auf ähnliche Art, wie ein japanisches Kurzgedicht, ein Haiku oder ein Tanka, ja auch eine bestimmte Form verlangen. Und Tanka – die etwas länger sind als die Haiku, die sich aus ihnen entwickelt haben – spielen für die Lösung des Falls im Roman eine nicht unwichtige Rolle.

Was übrigens sprachliche Schönheit betrifft: Die Kongenialität der Übersetzung kann an dieser Stelle leider nicht wirklich beurteilt werden. Aber auf jeden Fall hat Katja Busson für Fujiwaras Erzählung einen deutschen Sound geschaffen, in dem man die lässige Coolness und die lakonische Melancholie des Originals deutlich zu hören meint. Wow. Doomo arigatoo gozaimasu! Katharina Granzin