Georgisches Mineralwasser Borjomi: Salz, ja, Salz, zärtlich, aber bestimmt
Im Kaukasus sprudelt in der Kurstadt Borjomi ein besonderes Mineralwasser aus dem Boden. Es ist das wichtigste Exportgut Georgiens.
Landeanflug, Fensterblick: Da tanzen die Vegetationszonen, und das Herz hüpft mit. Wer die georgische Küstenstadt Batumi ansteuert, den grüßen schneebedeckte Berge, Palmen, Schwarzes Meer. An der Gepäckausgabe dann ein Plakat, nein, Banner: „Georgia – Home of Borjomi“. Im Bild bewaldete Vulkane, in so sattem Grün, dass einem selbst hier im Terminal frische Bergluft entgegenschlägt. Im Vordergrund eine Flasche Mineralwasser, Marke Borjomi. Ein Hypnose-Moment, hier wirkt Reklame noch.
Bald wird die erste Flasche geöffnet, Borjomi rinnt die Kehle hinunter. Ein leichtes Prickeln, Schwefel überzieht den Gaumen, und Salz, ja, Salz, zärtlich, aber bestimmt. Nach zwei, drei Schlücken kulinarischer Assimilation schmeckt dieses Wasser fantastisch, und die Zähne fühlen sich an wie frisch geputzt, bloß ohne Colgate-Schlick. Die Mineralien aus dieser Flasche müssen jene sein, die Ziegen tagein, tagaus von Steinen lecken.
Am nächsten Morgen geht es in einem alten Mercedes Sprinter fünf Stunden ins Landesinnere. Borjomi ist nicht nur Marke, sondern auch Kurort, etwa auf halber Strecke zwischen Batumi und Georgiens Hauptstadt Tbilissi in einem Tal des Kleinen Kaukasus gelegen, 820 Meter über dem Schwarzen Meer.
Schon die russischen Zaren und auch Stalin, gebürtiger Georgier, haben dort alle viere von sich gestreckt. Gegenverkehr gibt es keinen, aus den Boxen des Sprinters beteuert ein Sänger zum ungezählten Mal seine Liebe zu Tbilissi oder zu einem Menschen dort, die Waldluft, die durchs Fahrerfenster strömt, wandelt sich auf ihrem langen Weg zur Rückbank in hitzig-schläfrigen Dunst. Unter den Sitzen sammeln sich Wasserflaschen. Unnötig zu sagen, welche.
Die Heilquelle der kranken Kaukasusprinzessin
Ankunft in Borjomi. Über die Straße des 9. April geht es den Hang hinauf zum Stadtpark, von manchen auch Mineralwasserpark genannt. Er öffnete 1850, neun Jahre, nachdem Yevgeni Golowin, der Vizekönig des Kaukasus, seine kranke Tochter Katharina hierher brachte. Woran die Prinzessin damals litt, ist unbekannt, nur dass sie von ebenjenem Wasser geheilt wurde, meint man zu wissen, und gab einer der hiesigen Quellen ihren Namen.
Ebenfalls 1850 füllte ein Chemiker aus dem hiesigen Militärkrankenhaus 1.300 Flaschen davon ab und verkaufte sie in Tbilissi. Neun Stunden brauchte die Kutsche nach Borjomi, dessen Heilquellen im Russischen Reich fortan an Bekanntheit gewannen. Ab 1894 verkürzte die Bahn den Weg immens, und Großfürst Michail Romanow baute eine Fabrik, in der ab 1904 Maschinen das Wasser in mundgeblasene Flaschen abfüllten.
Kurz hinterm Parkeingang, unter einer Kuppel aus türkisfarbenem Eisenfachwerk, fließt heute Borjomi aus dem Hahn, all you can drink. Die Menschen hier nennen es „das warme Wasser“ im Vergleich zum „kalten“ aus der Flasche: weniger Sprudel, kein so saurer Geschmack, und abgefüllt wird es schnell fad. Anders als die meisten Quellwasser kühlt Borjomi auf seinem bis zu zehn Kilometer langen Weg zur Erdoberfläche nicht ab, sondern entspringt mit etwa 40 Grad den heute bekannten 57 Quellen.
Es geht vorbei an Autoscootern, Trampolinen, Minikart-Strecken, am futuristischem Schiebedach einer schnell ergrauten Schwimmhalle. Ein alter Jahrmarkt, verwunschen und entrückt, als hätte jemand den Märchenpark Ruhpolding an einem kaukasischen Wanderpfad ausgesetzt. Halogenlampen in der Form übergroßer Mineralwasserflaschen klammern sich an Laternenpfähle. In einem Karussell läuft Modern Talkings „Brother Louie“, während es Touristen aus Russland, Iran und den Emiraten kopfüber durch die Luft wirbelt.
Das meistverkaufte Wasser der Sowjetunion
Von der Vergnügungsmeile führt ein Feldweg hinauf zu den Bergen. Hinterm Bergrücken ruht die heutige Abfüllfabrik von Borjomi. Nach der Oktoberrevolution zierte Borjomi den Konferenztisch der sowjetischen Eliten – bei Besuchen Winston Churchills war das Wasser Teil des offiziellen Protokolls. In den 80er Jahren war Borjomi mit 400 Millionen abgefüllten Flaschen im Jahr schließlich das meistverkaufte Wasser der Sowjetunion.
Dabei ist es nur eines von vielen Salz-Schwefel-Wassern aus der Gegend; in Georgiens Supermarktregalen stehen neben ihm auch Nabeghlavi und Likani. Jenseits der russischen Grenze, nahe der Stadt Mineralnye Vody (sic!), entspringt Essentuki, noch deutlich krasser im Salzgehalt und -geschmack. Doch Borjomi ist das bekannteste Wasser aus dem Kaukasus. In Georgien findet man es überall, und freilich ist es auch dort Geschmackssache. Aber selbst die, die es nicht mögen, kaufen sich morgens nach dem Feiern eine Flasche, um dem Schädelweh vorzubeugen.
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Bis heute vertreibt die Mutterfirma IDS Borjomi International das Mineralwasser hauptsächlich in Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Nach deren Zusammenbruch brach auch der Absatz von Borjomi ein. Nach mauen Jahren ist Borjomi heute wieder Georgiens wichtigstes Exportprodukt. Der Anteil an den Gesamtausfuhren schwankt, je nach Statistik, zwischen drei und zehn Prozent. Georgien ist damit der sechstgrößte Mineralwasser-Exporteur der Welt, gleich hinter Fiji – und Deutschland, wo man das Verhältnis zur Außenbilanz aber erst ab der dritten Nachkommastelle findet.
Russisches Importverbot
Borjomi wird in die Ukraine verkauft, nach Litauen und Kasachstan; 44 Prozent des Exports aber gehen nach Russland. 2006 wurde dort der Import verboten. Laut dem zuständigen Inspektor waren in einigen Flaschen Werte gemessen worden, die nicht dem echten Borjomi entsprachen. Sprich: Es waren womöglich Fälscher am Werk. Das passierte in Zeiten wachsender Spannungen zwischen Russland und Georgien, die 2008 in einen fünf Tage währenden Krieg mündeten. Erst seit 2013 ist Borjomi wieder erhältlich. Egal, ob das Verbot nun politisch motiviert war oder nicht – gelesen wurde es als Symbol.
Nach einer Stunde Wandern erreicht man das Bad der Zaren. Körper gleiten ins Borjomi-Wasser und begreifen, dass die im Reiseführer angepriesenen 32 Grad halt nur lauwarm sind. Eine leichte Brise faule Eier flattert durch die Luft.
Wieder unten, an der Straße des 9. April, dröhnt Housemusik von der Dachterrasse eines Restaurants. Zum gleichen Beat tanzen die mondänen Studierenden, welche die Arte-Reportagen aus Zentraleuropa nach Tbilissi spülen. Im verwunschenen Borjomi aber überschallt das dumpfe Pochen nur das Zirpen der Grillen.
Der Georgien-Hype hat hier noch nicht so wirklich eingecheckt, doch keimt die Hoffnung auf die Wiederkehr des großen Kurtourismus. Ratlos wie verzaubert füllt man noch mal Wasser ab, ersteht zwei warme Fladenbrote und döst im Zug Richtung Hauptstadt.
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