Die Enkel der Revolution

PARTEITAG Die KP Chinas entscheidet im November über die Männer an der Spitze und die Zukunft ihres Landes

AUS PEKING FELIX LEE

In der ersten Novemberwoche wird die Welt vor allem auf eine Wahl schauen: die des Präsidenten der Vereinigten Staaten. Und sicherlich verspricht der Kampf um die Macht in den USA auf den ersten Blick sehr viel mehr Dramatik als der Führungswechsel, der wenige Tage später in der Großen Halle des Volkes in Peking vollzogen wird. Zumal sich ausländische und chinesische Beobachter einig sind: Wer künftig Chinas Parteichef wird – und damit mächtigster Mann im Lande –, steht fest: der bisherige Vizepräsident Xi Jinping. Und auch der künftige Premierminister gilt mit dem bisherigen Vizepremier Li Keqiang als gesetzt.

Von TV-Debatten der Kandidaten können die Chinesen nur träumen

Dennoch dürfte es auch in der Volksrepublik spannend werden. Denn auf dem 18. Parteikongress der Kommunistischen Partei Chinas, der in zwei Wochen beginnt, wird sich erweisen, wer neben diesen beiden Politikern sonst noch im innersten Zirkel der Macht vertreten sein wird. Im Ständigen Ausschuss des Politbüros, sitzen die neun – künftig vielleicht nur sieben – Männer, die das Schicksal des Landes für die nächsten zehn Jahre lenken sollen.

Ein genauer Blick auf den Generationswechsel in China lohnt sich auch deshalb, weil die Volksrepublik inzwischen sowohl ökonomisch als auch politisch in die Riege der wichtigsten Akteure der Welt aufgestiegen ist. „Wer in Peking künftig das Sagen hat, regiert mit über die ganze Welt“, sagt der britische China-Kenner und Reuters-Kolumnist John Foley.

Im Unterschied zu den USA geht es in Chinas politischem System allerdings alles andere als transparent – geschweige denn demokratisch – zu. Wahlkämpfe gibt es nicht. Offiziell erfahren die Chinesen kein Wort darüber, wer als Kandidat für die wichtigsten Parteiposten gehandelt wird und was diese Personen auszeichnet. Von Fernsehdebatten, die von der ganzen Welt aus mitverfolgt werden, können die Bürger nur träumen.

Stattdessen wird Chinas künftige Führung in einem monatelangem Geschacher intern von der Führung bestimmt. Wer etwas von diesem Gerangel nach außen dringen lässt, der läuft Gefahr, wegen Geheimnisverrats ins Gefängnis geworfen zu werden.

Die Geheimniskrämerei ist Erbschaft einer Zeit im vergangenen Jahrhundert, in der die KP als Untergrundpartei agierte – und sich ständig von in- und ausländischen Feinden bedroht sah. Auch nach mehr als sechs Jahrzehnten an der Macht hat sich das nicht geändert. Wer in der KP nach oben kommen will, muss fachkompetent sein und die Parteidisziplin wahren – vor allem aber Rückhalt in politischen Seilschaften haben, hinter denen die Interessen von Staatsbetrieben, Städten und Provinzen, der Armee und anderen Gruppierungen stehen.

Kaum eine Rolle spielt, zumindest nach außen, wo potenzielle Kandidaten politisch stehen: mehr links oder rechts, reformorientiert oder konservativ, liberal oder autoritär.

Das heißt nicht, dass es innerhalb der Parteiführung keine Fraktionen gibt. Sie definieren sich nur nicht in politischen Kategorien.

Derzeit sind vor allem zwei Lager zu erkennen, die miteinander ringen. Auf der einen Seite finden sich die im Volksmund genannten „Prinzlinge“ (taizi), Sprösslinge von KP-Funktionären der ersten Stunde. Sie haben von klein auf hinter den Mauern der Parteiführung gelebt, genossen eine Eliteausbildung und haben ihre Karriere meist ihrer guten Beziehungen zu verdanken. Viele haben vor allem das Interesse der Unternehmer in den boomenden Küstenregionen im Sinn. Das harte Leben der Landleute, die noch fast die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, berührt sie weniger.

Das Gegenlager rekrutiert sich aus Funktionären, die sich über die Jugendorganisation der Partei hochgearbeitet haben – der sogenannten Jugendliga (tuanpai). Viele von ihnen kommen aus den armen Provinzen im Binnenland. Sie betonen mehr die soziale Frage und das Wohl der Bauern, die in China immer noch rund 50 Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Die Flügel sind sich spinnefeind

Der nun abtretende Parteichef Hu Jintao ist ebenso einer von ihnen wie sein Premierminister Wen Jiabao. Und auch Chinas voraussichtlich künftiger Regierungschef Li Keqiang hat seine Laufbahn in der Jugendliga begonnen.

Beide Flügel sind tunlichst darauf bedacht, dass sie in den Machtgremien der Kommunistischen Partei nicht zu kurz kommen. Der nun abtretende KP-Chef Hu und sein Premier Wen litten darunter, dass der ehemalige Partei- und Staatschef Jiang Zemin, der bis 2002 im Amt war, sich auch nach seinem offiziellen Rückzug in den Ruhestand politisch einmischte. Dafür hatte er viele seiner Anhänger in den Führungszirkel gehoben. Auch deswegen galten das Hu-Wen-Team als schwach.

Chinas künftige Führung um Xi Jinping soll einen kleineren Ständigen Ausschuss mit nur sieben Mitgliedern bevorzugen. Je größer das Gremium, desto schwächer werden Xi und Li sein.

So sehr sich die Flügel beharken und zum Teil spinnefeind sind, so sehr eint sie doch eines: Beiden geht es um Machterhalt. Mehr Demokratie, weniger Geheimniskrämerei und weniger Repression sind nicht in Sicht.