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Die WahrheitDas Jahr des Bambusbechers

Kolumne
von Susanne Fischer

Nieder mit dem Einweggetränkebehälter aus Pappe! Nur wie soll das gehen, wenn die Kaffeeabfüller draußen im Land nicht recht mitspielen wollen?

W ie alle anderen Leute will ich Anfang des Jahres ein guter Mensch sein, später ist es dann egal. Am besten läuft es für mich, wenn ich mir unbedingt etwas Neues leisten muss, um besser dazustehen als vorher. Eine Win-win-Situation für die Welt und mich. Das vergangene Jahr war laut chinesischem Kalender das Jahr des Bambusbechers, also kaufte ich endlich einen zum Mitführen für den Kaffee unterwegs.

Als ich mein 13,90 Euro teures Gefäß mit rosa Silikondeckel in einer Bäckerei in Braunschweig über den Tresen reichte, lächelte man verständnisvoll, füllte den Becher und berechnete zehn Cent weniger. Ich war begeistert! Nur noch 138 weitere Kaffees, und die Investition in eine bessere Welt hätte sich auch finanziell rentiert.

Vor Entzücken trank ich das brühheiße Zeug so schnell, dass bei meinem nachfolgenden Termin im Landesmuseum kleine braune Wölkchen aus meinen Ohren dampften. Ehe man mich dabehalten und ausstellen konnte, war ich aber – turbokoffeiniert – schon wieder weggezischt. Urban Lifestyle! Geld ausgeben und dabei Spaß haben! Das kennt man auf dem Land ja gar nicht!

Kurz darauf kollabierte mein Becher leider wegen Eile und Ungeschick seiner Besitzerin im Bahnhofskiosk unserer Kreisstadt. So lernt man neue Menschen kennen. Nachdem wir gemeinsam aufgewischt hatten, spendierte der Kioskbesitzer mir einen frischen Kaffee und ich ihm ein Trinkgeld in Höhe des Kaffeepreises. Wir waren ja beide gute Menschen! Mit Ökobecher!

Bei der Bäckerei im Nachbardorf hatte ich weniger Glück mit meinem Koffein-Gadget. „Das habe ich jetzt schon eingebongt“, sagte die Verkäuferin patzig, „das muss ich dann ja wieder neu machen, weil es billiger wird.“ Mein gewinnendes „Ich habe zehn Cent gewonnen“-Lächeln verging mir allerdings Sekunden später, als sie einen bösen Pappbecher in den Kaffeeautomaten schob. „Nein, nein“, stammelte ich, und schob mein Bambusgewissen über den Tresen. „Nein, nein“, antwortete sie, „das darf ich aus hygienischen Gründen nicht. Ich gieße den Kaffee erst in den Pappbecher und dann können Sie ihn in Ihren Becher umfüllen.“

„Jetzt will ich keinen Kaffee mehr“, jammerte ich mit der Verzweiflung des vorausgefühlten Koffeindefizits. Leute mit Ökokaffeebechern halten sich übrigens gern für ultimative Weltverbesserer, die anderen mal so richtig die Meinung sagen dürfen. Es gibt mehrere wissenschaftliche Studien dazu. Warum forscht ihr nicht mal über was Vernünftiges, ihr Schwachmaten? Oder kauft euch Ökokaffeebecher?

Die Bäckereifachverkäuferin presste die Lippen zusammen, bongte meinen Einkauf neu und warf den unbenutzten Pappkaffeebecher in den Müll, weil sie ihn angefasst hatte. Eine klassische Lose-lose-Situation. Ob ich die so gesparten 1,80 Euro von meinen Investitionskosten abziehen kann, muss ich demnächst mal einen Betriebswirtschaftler fragen.

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