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Migration im Volkstheater„Gutes Theater ist uneitel“

In „Plattdüütsch för Anfängers“ macht der zukünftige Ohnsorg-Theater-Spielleiter Murat Yeginer Migration auf dem platten Land zum Thema.

Das Ohnsorg-Theater verändert sich: Szene aus dem Stück „Plattdüütsch för Anfängers“ Foto: dpa
Interview von Robert Matthies

taz: Murat Yeginer, in „Plattdüütsch för Anfängers“ geht es ums Thema Migration auf dem platten Land. Wie zeitgemäß und politisch kann Volkstheater sein?

Murat Yeginer: Volkstheater im klassischen Sinne, bei den Griechen, bei Shakespeare oder auch bei Molière, hat ja immer eine politische Komponente gehabt. Natürlich muss Volkstheater unterhaltsam sein, aber es darf aktuelle Themen nicht beiseite legen. Wir als Theater leben ja von den Themen, mit denen wir als Menschen leben. Im Ohnsorg-Theater war das übrigens früher auch nicht wesentlich anders. Gerade bei Heidi Kabel und Henry Vahl wurde ja immer wieder auf die Probleme der kleinen Leute wie Arbeitslosigkeit hingewiesen.

Also knüpft das Stück an die Klassiker des Hauses an?

Ja, in einer zeitgemäßen Form. Und es bringt alle Elemente mit, vielleicht selbst zum Ohnsorg-Klassiker zu werden. Es geht um die Liebe zur Scholle, zur Heimat, zur eigenen Sprache. Wir durchleuchten die Sicht der Bevölkerung des kleinen Dörfchens Niederhörn. Wie geht so ein Dorf damit um, wenn vier Flüchtlinge kommen, wie empfinden die Leute das Fremde? Wenn ich es schaffe, dass man dabei merkt, dass jeder dieser Ankömmlinge eine Geschichte und eine Persönlichkeit hat und liebenswert ist, dann habe ich schon viel erreicht.

Im Stück gibt den Geflüchteten ausgerechnet der kauzige Bauer Uwe Deutschunterricht, der sich als letzter „echter Plattdeutscher“ versteht.

Er macht es, um wieder in seine Wohnung zu kommen, die zwangsversteigert wurde. Und in dieser Wohnung lernen sie sich kennen und nach und nach wird eine Buddy-Story daraus: Sie mögen sich und er bringt ihnen Deutsch bei. Aber kurz vor der Prüfung merken die anderen: Er hat ihnen kein Hoch-, sondern Plattdeutsch beigebracht. Das schnacken sie dann alle perfekt, verstehen aber kein Wort Hochdeutsch und fallen bei der Prüfung durch. Aber dann bemerkt Uwe, dass Plattdeutsch auch eine Amtssprache ist und rettet alle.

dpa
Im Interview: Murat Yeginer

Murat Yeginer, 59, ist Schauspieler, Regisseurund Autor. Ab der kommenden Spielzeit ist er Oberspielleiter am Ohnsorg-Theater.

Man darf sich also darauf verlassen, im Ohnsorg auch mit Ihnen als Spielleiter Plattdeutsch zu bekommen?

So ein Alleinstellungsmerkmal darf man natürlich nicht hergeben. Der Abonnent bekommt weiterhin Plattdeutsch, aber eben nicht nur Mainstream-Unterhaltung. Da müssen wir diesen Spagat zwischen Erwartungshaltung und Anspruch hinkriegen.

Aber die klassischen Bauern- und Fischerschwänke wird es nicht mehr geben?

Ich mag es eigentlich nicht, mit solchen Begrifflichkeiten um mich zu schmeißen. Bauerntheater ist für mich nichts Negatives, ebensowenig wie Volkstheater oder zeitgenössisches Regietheater. Ich mag es nicht, mich festnageln zu lassen. Im Grunde gibt es nur gutes und schlechtes Theater.

Wie geht gutes Theater?

Gutes Theater ist uneitel. Viel Gutes am Theater geht kaputt, wenn man eitel ist und zeigen möchte, wie toll man ist. Ich mag den direkten Ton, das Gerade, das aus dem Bauch Herauskommende. Ob er weiterdenkt oder nicht, überlasse ich dem Zuschauer. Ich muss nicht zeigen, wie intelligent ich bin und sagen: Kinners, habt ihr diesen Wink verstanden? Ich haue nicht dreimal mit dem Zaunpfahl drauf. Dem Zuschauer diesen Raum zu überlassen, das verstehe ich unter uneitel.

Also: Veränderung ja, aber behutsam?

Ich will nicht auf Teufel komm raus jemanden vor den Kopf stoßen oder unbedingt das Rad neu erfinden.Natürlich haben wir ein paar Ideen, aber wir wollen das Publikum nicht bevormunden. Ideen werden also auch aus den Erfahrungen dieser Spielzeit entsehen. Wir müssen ausprobieren, wie weit wir gehen können und was ankommt. Gehen wir vielleicht hier wieder einen halben Schritt zurück und woanders einen halben nach vorn?

Was wäre denn so ein halber Schritt zurück?

Das Ohnsorg-Theater hatte zum Beispiel immer eigene Autoren, die aus der Gegend kamen, die von der Scholle und der Heimat erzählt haben, da kam der Bürgermeister vor und der Pastor und der Dorfpolizist. Mittelfristig wollen wir auch wieder Hausautoren aufbauen, die eigens fürs Ohnsorg schreiben.

Die Gratwanderung ist also, die Tradition des Hauses ernst zu nehmen, es aber auch für die Zukunft zu erhalten.

Es geht darum, das Ohnsorg-Theater für die nächsten 20 Jahre so zu positionieren, dass wir diesen Spielort erhalten können. Und dabei können wir als Privattheater nicht sagen, wir warten mal die nächsten fünf Jahre ab, weil es sich rechnen muss. Wir müssen Wege finden, wie wir gemeinsam mit den Zuschauern glücklich alt werden können und dann beim Zurückblicken merken: Da gibt es auch Jüngere, die Lust haben, ins Ohnsorg zu gehen.

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