Ein Film wie eine Kampfansage

REIHE Das Regenbogenkino in Kreuzberg zeigt mit „Machorka-Muff“ und „Nicht versöhnt oder Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht“ zwei Meilensteine der Kinomoderne von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet

Von „Nicht versöhnt“ führt kein Weg zurück in die klassische Cinephilie, von der sich Godard nie ganz lösen wollte, und erst recht kein Weg vorwärts in die Kulturpolitik

VON LUKAS FOERSTER

Schon seit einiger Zeit zeigt das Kreuzberger Regenbogenkino eine angenehm lose programmierte Filmreihe mit dem Titel „Blick in die Filmgeschichte der 60er Jahre“. Das kollektiv betriebene Kleinkino, das wirkt, als stünde es ein wenig neben der Zeit, ist ein schöner Ort, um Filmen (wieder) zu begegnen, in die sich die gesellschaftlichen Umbrüche des lang vergangenen Jahrzehnts eingeschrieben haben. Tief in die im Zuschauerraum verteilten Sofas versunken, konnte man dieses Jahr schon May Spils frühen Slackerfilm „Zur Sache, Schätzchen“ sehen; Spils nonchalanter Hauptdarsteller Werner Enke selbst hätte sich im Regenbogenkino vermutlich sehr wohl gefühlt.

Einen so problemlosen Anschluss an die Gegenwart verspricht das Filmprogramm, das heute Abend zu sehen ist, eher nicht. Gezeigt werden die beiden ersten Filme des Regieduos Jean-Marie Straub und Danièle Huillet: der Kurzfilm „Machorka-Muff“ von 1963 und der mittellange „Nicht versöhnt oder Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht“ von 1965. Beide beruhen auf Vorlagen Heinrich Bölls. Vor allem Letzterer ist zu den Schlüsselwerken der Kinomoderne zu rechnen: ein Film, der mit einer bestimmten Art von Kino bricht, ein Film wie eine Kampfansage. Ein Film aus einer Zeit, in der die Opposition, das „wir gegen die“, noch als natürlicher Weg des Autorenkinos erschien. Und anders als im Fall von Godards „Außer Atem“ oder Kluges „Abschied von gestern“, die man in ihrer Zeit ähnlich beschrieben hatte, kann man die Radikalität des Straub/Huillet-Kinos nicht nur historisch, sondern auch noch aus der Gegenwart heraus nachvollziehen.

Kein Raum für Illusionen

Bölls Vorlage ist ein fein gewebtes Narrativ und erzählt über mehrere Zeitebenen eine Art negativen Gründungsmythos der BRD entlang eines doppelt gebrochenen Familienromans: Der Sohn hat das Lebenswerk des Vaters zerstört, der Enkel baut es wieder auf – und die Schergen der Nazidiktatur sitzen längst wieder an den Schaltstellen der Macht. Im Grunde ist auch „Nicht versöhnt …“ schnell und dicht erzählt. Dennoch entsteht kein Illusionsraum, keine narrative Immersion. Die einzelnen Szenen dichten sich ab – einerseits gegenüber ihren zeitlichen und räumlichen Kontexten, andererseits gegeneinander. Gerade die literarische Erzähltechnik der Rückblende, die im Roman Verbindungen schafft, verstärkt diese Abdichtung. Unmarkierte Sprünge zwischen den Zeitebenen lassen Disparates nebeneinander stehen, ermöglichen damit auch die Erfahrung von Erinnerung als traumatischem Bruch. „Die Schauplätze der Gegenwart ragen wie Berge aus einem Meer von Vergangenheit. Die Verbindungswege, auf denen Handlung transportiert wird, sind unterbrochen“, schrieb Peter Nau über den Film.

Wo Godard und Kluge nach neuen, zeitgemäßeren Modi des Zusammenhangs suchten, interessierten sich Straub/Huillet immer für neue Modi der Autonomie. Schon die einzigartige und oft kommentierte Art des Sprechens in ihren Filmen verweist auf einen grundlegend anderen Begriff von Kinoerfahrung. Da geht es gar nicht nur um das – im Vorspann von „Nicht versöhnt …“ aufgerufene – Erbe Brechts, um den bloßen V-Effekt des Deklamatorischen; sondern auch und vor allem um ein Interesse an Stimme als einem nicht kommunikativen, sondern einem physikalisch-organischen, einem sinnlichen Phänomen: In „Nicht versöhnt …“ wird derart stark genuschelt, dass man oft Mühe hat, überhaupt etwas zu verstehen, dafür aber offenbart sich ein Reichtum an Dialektfärbungen und idiosynkratischer Sprachflexion, von Sprache als gelebter Wirklichkeit, wie man ihn im restlichen deutschen Kino bis heute vergebens sucht.

Vermittlung muss sein

Von „Nicht versöhnt …“ führt kein Weg zurück in die klassische Cinephilie, von der sich Godard nie ganz lösen wollte, und erst recht kein Weg vorwärts in die Institutionen, in die Kulturpolitik, in der sich Kluge so wohlfühlt. Straub/Huillets Ästhetik ist leicht parodierbar, aber kaum imitierbar. Und als Geschäftsmodell taugt sie schon gleich gar nicht. Das heißt auch, dass jede Vorführung eines Straub-Huillet-Films unendlich kostbar ist – weil sie sich ihrerseits gegenüber dem restlichen Kinobetrieb abdichtet. Das stimmt nicht ganz, ein wenig Vermittlung muss sein: Harun Farocki, in den 60er Jahren als dffb-Rebell selbst Protagonist filmpolitischer Kämpfe, führt heute Abend in die Filme ein. Im Anschluss ist noch Farockis eigener, äußerst selten gezeigter essayistischer Spielfilm „Etwas wird sichtbar“ – eine Auseinandersetzung mit dem Vietnamkrieg und dessen medialer Repräsentation – zu sehen.

■ „Machorka-Muff“ und „Nicht versöhnt oder Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht“, 20 Uhr, im Regenbogenkino. Anschließend Gespräch mit Harun Farocki