Mit dem Raumschiff ins 21. Jahrhundert

MILLIONENGRAB Das Internationale Congress Centrum (ICC) soll für 200 Millionen Euro saniert werden – aber nur wenn ein „schlüssiges Nutzungskonzept“ vorliegt. Die taz hat Ideen gesammelt: ein halbwegs seriöser und vier weitere Vorschläge, die sich lohnen könnten

■ 1979 eingeweiht, 320 Meter lang, 80 Meter breit, 40 Meter hoch. Wie ein Raumschiff steht das ICC in Westend neben der Stadtautobahn. Hohe Betriebskosten und erwartbar hohe Renovierungskosten lösten eine Debatte über seinen Fortbestand aus.

■ Im Mai 2008 entschied der Senat: für 182 Millionen Euro sanieren. Als ein Jahr später bereits von 60 Millionen Euro mehr die Rede war, regte der parteilose Finanzsenator Ulrich Nußbaum vergeblich an, nochmals über einen Abriss nachzudenken.

■ 2010 plante der Senat, das ICC ab 2013 für zwei Jahre zu schließen und zu sanieren. Die geschätzten Sanierungskosten stiegen weiter: auf 330 Millionen Euro.

■ Als in diesem Jahr von mehr als 400 Millionen Euro die Rede war, sprach SPD-Fraktionschef Raed Saleh von einem „Fass ohne Boden“. Ende September einigten sich SPD und CDU darauf, das ICC als Kongressort aufzugeben und für maximal 200 Millionen Euro für eine andere Nutzung zu sanieren – falls sich ein Konzept findet. Einen Abriss solle es nicht geben, aber auch keine Ruine ohne Nutzung. (sta)

VON S. ALBERTI, P. HECHT
UND B. SCHULZ

Kaum ein Gebäude hat die Berliner Landespolitik in den vergangenen Jahren mehr beschäftigt, keines sorgt seit dem Abriss des Palastes der Republik für so große Kontroversen. Und bei keinem geht es um so viel Geld wie beim mehr als 30 Jahre alten Internationalen Congress Centrum, kurz ICC. Abriss, komplette Sanierung und Weiterbetrieb als Kongressort für über 400 Millionen Euro? Oder nur eine Sanierung mit anderer Nutzung? Die Zukunft des maroden und asbestbelasteten Kolosses an der Stadtautobahn wurde immer wieder neu diskutiert.

Die rot-schwarze Koalition hat sich jüngst auf den dritten Weg festgelegt und will dafür 200 Millionen Euro ausgeben – aber nur, wenn sich ein „schlüssiges Nutzungskonzept“ findet. Die Folge: jede Menge Ideen für den ollen Bau.

1. Ganz ernst: Bücherei im Raumschiff

So plädiert das Architekturbüro KSP Jürgen Engel dafür, schlicht und einfach die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) dort unterzubringen. Bisher will der rot-schwarze Senat für die Bücherei einen Neubau auf dem Tempelhofer Feld erstellen, geplante Kosten: bisher 270 Millionen Euro. Der Bau ist ein Prestigeprojekt des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD), der zugleich Kultursenator ist.

Laut dem Architekten Engel eignet sich das ICC durchaus für diese Nutzung, allein schon wegen der enormen Abmessungen. Es ist mehr als 300 Meter lang und gut 80 Meter breit. Ordentlich Platz also für Medien aller Art. Zudem, so Engel, sei die Struktur des ICC auf Flexibilität angelegt – ein Vorteil, wenn es darum geht, ein Gebäude anders als bisher zu nutzen. Das Konzept des Büros sieht vor, die großen Konferenzsäle zu einem öffentlich zugänglichen Arbeits- und Aufenthaltsbereich zusammenzulegen. Insgesamt sind bis zu 4.000 Arbeitsplätze vorgesehen. Bliebe es bei den bisherigen finanziellen Planungen – 270 Millionen Euro für die ZLB, höchstens 200 Millionen Euro für das ICC –, würde der Senat sogar 70 Millionen Euro sparen.

2. Ganz hübsch: Zuschließen und anleuchten

Das ICC ist wegen seiner Größe nicht oder nur für viele hundert Millionen Euro abreißbar. Es wird als Kongressort nicht mehr benötigt. Warum also sanieren für 200 Millionen Euro, nur um ein paar Westalgiker zu befriedigen? Dabei liegt die günstigste Lösung nahe: abschließen, den Schlüssel wegwerfen und alles schön anstrahlen lassen, vielleicht mal christomäßig verpacken und gut bewachen lassen, damit es nicht zur Müllhalde wird.

Berlin hätte – Quadratur des Kreises – zugleich eine Touristenattraktion mehr. Die Kosten: 24 Stunden Zwei-Mann-Wachdienst streng nach Mindestlohn zu 8,50 Euro bezahlt, macht im Jahr knapp 150.000 Euro plus Strom für die Beleuchtung. Angesichts der Tatsache, dass im Abgeordnetenhaus selbst über Summen von 50.000 Euro heftig diskutiert wird, die ein Projekt retten oder einen Spielplatz sanieren könnten, ist es unlogisch, 4.000-mal so viel für eine unnötige Sanierung auszugeben.

3. Ganz gefährlich: Der Abenteuerspielplatz

Asbest ist das zentrale Problem des ICC und der Grund dafür, warum eine Sanierung so teuer wäre. Warum also nicht aus der Gefahr eine Attraktion machen? Schließlich geben ja auch immer mehr Menschen viel Geld dafür aus, sich in die Todeszone von Himalaja-Gipfeln hinaufführen zu lassen, springen an Gummis irgendwo runter oder klettern unangeseilt hohe Felsen rauf. Solchen Thrill würde das ICC locker bieten, wenn man es zu einem endzeitlichen Abenteuerpark machte.

Die Besucher würden in Anti-Kontaminations-Anzüge gesteckt und unter schweren Atemschutz gepackt. Mit ein bisschen Kreativität ließe sich für wenig Geld ein futuristisch-abgewracktes Ambiente wie in „Mad Max“ schaffen. Die Kosten: gering oder sogar keine – die Besucher würden ja sogar noch Eintritt zahlen.

4. Ganz abgehoben:Der Wegbereiter ins All

Berlin bekommt einen Flughafen für mindestens 4,5 Milliarden Euro, da sollte es auch bei einem Raumschiff nicht kleckern. Was könnte man mit dem nicht alles machen: ein paar hundert Touris auf den Mond schießen, die Stadt als Drehort für Science-Fiction-Filme etablieren. Raumanzüge würden neue Trends für die Fashion Week setzen, der Messedamm hieße bald Milkyway. Gut, beim Start wäre das ICC ein wenig schwerfällig, der Raketenantrieb stammt eben noch aus den 70ern. Aber wenn es erst mal im Weltall schwebte, hätte man eine bessere Sicht auf Berlin als von Fernsehturm und Teufelsberg zusammen. Das wiederum käme auch Wowereit und Co zugute: Der Blick von außen, von ganz weit außen, lässt einen die Dinge ja häufig klarer sehen.

5. Ganz gesund: Platz für junges Gemüse

In der Stadt Obst und Gemüse anzubauen, ist einer der ganz großen Berliner Trends. Es gibt ja auch gute Gründe dafür: Die entnaturierten Städter lernen dabei etwas vom Lauf der Natur, gut schmecken tut’s meist auch noch. Und wie Forscher der Humboldt-Universität jetzt herausgefunden haben, ist das Potenzial gewaltig – wenn man sich nur traut. Der Senat sollte das schnellstens unterstützen und das ICC für HobbygärtnerInnen aller Couleur öffnen.

Mit seinen vielen kleinen Räumen bietet das monströse Gebäude eine optimale Grundlage für unterschiedlichste Anbauformen und -früchte. Die Lichtführung müsste freilich noch etwas verbessert werden. Aber was wäre diese überschaubare Investition gegen jede Menge frische Früchtchen aus Berlin? Und welche Marketingmöglichkeiten gäbe es für Charlotten aus Charlottenburg!