„Ich überlege nicht jeden Tag, ob es gut läuft oder nicht“

Renke Ehmcke veröffentlichte mit 22 Jahren die erste Platte auf seinem eigenen Musiklabel. In diesem Jahr wird Zeitstrafe 15 Jahre alt. Ein Gespräch über die Zusammenarbeit mit Freunden und den Wandel der Musikindustrie

Foto: Miguel Ferraz

Interview Marthe Ruddat

taz: Herr Ehmcke, wissen Sie, wie viele Tonträger Sie heute schon verkauft haben?

Renke Ehmcke: Nein, das weiß ich nicht. Ich weiß ja nicht, wer heute in Ludwigshafen in einen Plattenladen gegangen ist und eine CD oder Schallplatte von Zeitstrafe gekauft hat. Tagesaktuell könnte ich herausfinden, wie viele digitale Verkäufe es gab, aber das mache ich eigentlich nicht.

Der Erfolg schwirrt Ihnen also nicht die ganze Zeit durch den Kopf?

Verkäufe spielen bei mir natürlich eine grundlegende Rolle. Ich überlege aber nicht jeden Tag, ob es gerade gut läuft oder nicht.

Haben Sie jemals selbst in einer Band gespielt?

Nein, ich war aber schon immer musikbegeistert. Mit 15 oder 16 habe ich dann die Do-it-yourself-Szene (DIY) für mich entdeckt. Ich fand es total spannend, dass manche Bands ihre Platten selber produzieren, selbst Konzerte organisieren und sich damit unabhängig von den großen Labels machen. Deshalb habe ich dann angefangen, in der Aktion Jugendzentrum (AJZ) in Neumünster Konzerte zu organisieren.

Und wie kam es zur Gründung des Labels Zeitstrafe?

Drei Freunde von mir hatten damals eine Band, American Tourists. Ich fand die richtig gut! Die Jungs waren aber etwas träge, könnte man sagen. Ich habe deshalb die Aufgabe des Antreibers übernommen und ihnen geholfen, ein Demo aufzunehmen und es an Konzertveranstalter zu schicken. Mit dem Auto meiner Mutter habe ich sie zu ihren Konzerten gefahren. Und irgendwann wollten sie eine Platte aufnehmen. Für mich war schnell klar, dass ich dafür ein Label gründe.

Das klingt nicht nach einer durchdachten Geschäftsidee.

Nein, es gab jahrelang keinen ausgefeilten Plan, ich habe das einfach gemacht. Die ersten drei Jahre war mein Label auch gar nicht angemeldet. Die Idee war eigentlich erst einmal nur, die Platte meiner Freunde herauszubringen.

Bis heute haben Sie 48 Tonträger veröffentlicht.

Das ist irgendwie so passiert, es ging einfach immer weiter. Mit den Bands war ich viel auf Tour, da lernt man eine Menge Leute kennen.

Händeschütteln im Akkord?

Im professionellen Musikbereich ist das vielleicht so, in dieser DIY-Szene war das anders. Da gab es auf Tour keine Hotels, wir haben bei den Leuten zu Hause geschlafen. Mir hat beispielsweise mal ein Veranstalter am Frühstückstisch seine eigene Band vorgespielt. Ich fand die gut, wir sind in Kontakt geblieben und später habe ich ihre Platte herausgebracht.

Sie haben keine Ausbildung in dem Bereich. Woher wussten Sie, wie eine Plattenproduktion läuft?

Ich habe Leute gefragt, die sich auskennen. Ganz am Anfang habe ich mir auch einfach viel bei anderen Platten abgeguckt – wie die Singles und die Heftchen in den CDs aussehen zum Beispiel. Als ich dann Zeitstrafe auch offiziell gegründet habe, hat mir ein befreundeter Labelbetreiber aus Kiel erklärt, was ich bei der Gewerbeanmeldung, einer Steuererklärung und so weiter beachten muss. Insgesamt muss man aber gar nicht so viel wissen.

Sind sie wirklich mit allen Bands befreundet?

Zu behaupten, wir wären alle dicke Freunde, wäre ein bisschen übertrieben. Die meisten sind aber auf jeden Fall Freunde geworden und ich stehe mit vielen noch in Kontakt. Ohne persönliche Ebene würde ich nicht mit einer Band zusammenarbeiten. Das Risiko, dass Idioten dabei sind, wäre viel zu groß. Es gibt einfach nicht nur den einen Punk, sondern ganz viele. Und ehrlich gesagt, wenn so ein Haufen Jungs zusammen auf der Bühne steht, dann sind das nicht immer nur coole Leute. Da ist auch viel unangenehmer Geltungsdrang dabei. Damit möchte ich nichts zu tun haben und die Bands deshalb wenigstens ein bisschen kennen. Es ist wichtig, dass wir die selben Vorstellungen von Haltung und Arbeitsweise haben.

Welche Vorstellungen sind das?

Das muss nicht in hochpolitische Bereiche abdriften, nicht jeder muss seine politische Meinung nach außen tragen. Mir ist aber durchaus wichtig, dass die Leute schon mal davon gehört haben, dass es Sexismus gibt, der ein Problem ist und nicht weiter reproduziert werden sollte. Das gleiche gilt für Rassismus, Faschismus und so weiter. Das sind Grundprinzipien, ohne die geht es nicht.

Selbst wenn die Grundeinstellung stimmt: Ist es nicht manchmal schwer, mit Freunden auf professioneller Ebene zusammenzuarbeiten?

Ja, manchmal ist das schwierig. Wenn das gemeinsame Projekt ambitioniert ist, sind natürlich auch deutlich höhere Beträge im Spiel. Ich bin selbstständig und versuche, mit dem Label meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Für mich ist es schon problematisch, wenn eine Platte floppt. Bei einer Band, für die die Musik ihr Hobby ist, ist das vielleicht kein Drama. Man muss dann einfach eine gemeinsame Ebene finden. Das hat bei mir bisher immer gut funktioniert. Richtigen Streit ums Geld gab es noch nie.

Konnten Sie schon immer von dem Label leben?

Renke Ehmcke, 36, wollte lieber auf Tour gehen und schmiss sein Politikstudium deshalb schnell. Vor fast 15 Jahren gründete er das Musiklabel Zeitstrafe. Mittlerweile hat er 48 Platten von 22 Bands herausgebracht, darunter Captain Planet und die Punk-Supergroup Belgrad. Zum diesjährigen Geburtstag organisiert Ehmcke eine Labeltour durch sechs deutsche Städte. Er lebt mit acht Mitbewohnern in einer Hamburger Wohngemeinschaft.

Als ich noch in Kiel gewohnt habe, hat das ganz gut geklappt. Meine Wohnung war eine richtige Bruchbude und dementsprechend günstig. Und auf Tour bekommt man Essen und Getränke gestellt, das spart auch Kosten. Als ich nach Hamburg gezogen bin, habe ich angefangen, bei dem Independent-Label Grand Hotel Van Cleef zu arbeiten, dadurch hatte ich zusätzliche Einnahmen. Vor zweieinhalb Jahren habe ich aber beschlossen, mich wirklich nur auf Zeitstrafe zu konzen­trieren. Manchmal ist es finanziell schon heikel. Ich musste umziehen, weil ich mir meine Wohnung nicht mehr leisten konnte. Aber ich will einfach, dass es klappt. Da bin ich vielleicht ein bisschen stur.

Mehr Veröffentlichungen könnten mehr Einnahmen bringen. Trotzdem beschränken Sie sich auf wenige Veröffentlichungen pro Jahr. Wieso?

Es gibt einfach nicht so viele gute Bands! Wenn ein Label zwanzig Veröffentlichungen im Jahr hat, dann ist zwangsläufig auch viel Schrott dabei. Es macht Spaß, Kunst zu machen, jede Kunst hat auch ihre Daseinsberechtigung. Aber wenn ich etwas mache, dann möchte ich, dass es eine gewisse Bedeutung hat und auch auf lange Sicht geschätzt wird. Viele Bands erregen kurze Aufmerksamkeit, davon möchte ich mich abheben. Deshalb macht es mehr Sinn, sich auf ein paar Projekte zu konzentrieren.

Sie sind seit 15 Jahren in der Musikbranche. Wie beurteilen Sie das Problem der sinkenden Verkaufszahlen?

Ich glaube, ich bin nicht in der Position, über die Musikbranche als Ganzes urteilen zu können. Mit meiner kleinen Firma kann ich das nur vom Rand aus beäugen, das finde ich aber auch gut so. Es gibt natürlich dieses Mantra der Musikbranche, die immer wieder beklagt, wie schlecht es ihr geht. Aber ich glaube, man muss auch beachten, wer sich da beklagt. Das sind meist die großen Majorlabels, die immer noch Multikonzerne sind. Oder auch millionenschwere Musiker wie Lars Ulrich von Metallica. Der war ganz vorne mit dabei, Musikdownloads zu verteufeln. Klar, wenn ich mir am Ende des Monats angucke, wie viele Menschen einen Song meines Repertoires gestreamt haben, dann ist der Betrag, den ich dafür bekomme, schon lächerlich. Der Vorteil der digitalen Entwicklung ist natürlich, dass jeder seine Musik online hochladen kann. Mit einfachsten Mitteln können schnell viele Menschen erreicht werden.

Das wiederum hat doch aber Nachteile für die kleinen Labels.

Klar, der Chef vom Indielabel und der Chef vom Majorlabel müssen beide nur im Internet die Augen offen halten. Früher hatten die kleineren Labels den Vorteil, so nah am Boden zu sein, dass sie Bands wahrgenommen haben, die die großen nicht gesehen haben. Das ist heute aufgebrochen. Dieser Wissensvorsprung, der ja nun mal die Währung der kleineren Labels war, ist leider verloren gegangen.

Sie selbst schreiben sich das Etikett „Gods of DIY“ auf die Fahne. Sind Sie wirklich die Götter des Selbermachens oder ist das ein Aufbäumen gegen diese Entwicklungen?

Früher habe ich wirklich alles komplett selber gemacht. Ich habe die Cover selbst gebastelt und auch die ganze Promotion selber gemacht. Heute habe ich einen Vertrieb und arbeite zum Teil mit Promotion­agenturen zusammen. Dass ich die Idee des Selbermachens so hoch halte, ist eine Überhöhung, die einem Trotzgedanken geschuldet ist. Vor einiger Zeit kam vermehrt die Kritik auf, dass der DIY-Gedanke eine Lüge wäre und doch eh alle in das System verstrickt seien. Seit ein paar Jahren beobachte ich auch, dass der Anspruch, möglichst professionell zu wirken, immer mehr zunimmt. Auf Fotos wollen alle Bands immer möglichst ikonisch aussehen, alles muss einen bestimmten, pseudo-professionellen Stil haben. Dem möchte ich mich widersetzen. Zu sagen, dass wir die Götter oder Könige des DIY sind, kann dann natürlich nur ein Witz sein, weil es im DIY eigentlich keine Hierarchien gibt. Für manche mag das abgedroschen oder hängen geblieben klingen, aber das ist mir egal.