berliner szenen
: Kein Geld, keine Hose, keine Platten

Anfang der neunziger Jahre war der freitägliche Ausflug an den Nollendorfplatz ein Fixpunkt. Nachmittags kam H. aus dem brandenburgischen Forst zurück, dort hatte er seine Arbeitswoche verbracht. Zum Wiedersehen gab’s Kuchen im Berio und dann ab zu Mister Dead & Mrs Free. Schließlich hatten sie dort alle guten Platten. Und H. was abzuarbeiten. Und, noch lange nach Mauerfall, den wiederkehrenden Traum, morgens um 8 vor dem Laden zu stehen: ohne Westgeld, manchmal sogar ohne Hose. Und mittags, wenn der Laden aufmachte, sollte er längst zurück im Osten sein.

Niedlich. Trotzdem hat sein Eifer genervt. Nach einer halben Stunde hatte ich meist genug. Und verdanke Mister Dead & Mrs Free doch viel: zahllose Entdeckungen, eine unaufdringliche, nachhaltige Sozialisierung. Volker Quante, der den Laden 1984 mit Ina Winkels gegründet hat, nimmt seine Vermittlertätigkeit ernst: Hinweisschilder, wie die Platten einzuordnen sind. Er warnte auch, wenn etwas nicht toll war.

Irgendwann wollte H. nur noch Techno gut finden. Damit war das Ritual war dahin. Fortan war ich nur sporadisch im Laden – auch, weil mich all das Vinyl daran erinnerte, dass mein Plattenspieler zum reparaturbedürftigen Staubfänger geworden war. Trotzdem freute ich mich immer, wenn ich mit dem Rad dort vorbeifuhr. Umso trauriger, von der bevorstehenden Schließung (3. Februar 2018) aus der Zeitung zu erfahren.

Also noch mal hin. Wie schön entschleunigt es hier zugeht. Ich hatte es fast vergessen. Und schleppe Platten nach Hause wie lang nicht mehr. H. konnte wegen Grippe nicht mir, deshalb steht der eigentliche Abschiedsbesuch weiter aus. Ein bisschen Zeit ist noch. Jetzt muss der Plattenspieler saniert werden. Wenigstens dafür soll dieser Abschied gut sein.

Stephanie Grimm