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Im Licht von Neuen Welten

SPACE MODULATOR „der fotografie-unkundige (wird) der analphabet der zukunft sein“, wusste der Bauhaus-Meister László Moholy-Nagy schon 1927. Eine Retrospektive in der Frankfurter Schirn

László Moholy-Nagy erregt Aufsehen durch Experimente mit der kameralosen Fotografie. Die Lichtempfindlichkeit des Fotopapiers nutzend, entwickelte er im Labor abstrakte Studien. Manche seiner Fotogramme erinnern heute an im All schwebende Flugkörper, an nächtliche Lichtarchitektur oder an röntgenartig durchleuchtete unheimlich wirkende Dinge

VON HORTENSE PISANO

„Ist es richtig, in den Zeiten einer sozialen Umwälzung Maler zu werden?“, fragte sich der studierte Jurist und gebürtige Ungar László Moholy-Nagy nach Kriegsende 1919. „Kunst und Wirklichkeit hatten während der letzten hundert Jahre nichts gemeinsam“, schreibt er 24-jährig. Doch er schließt selbstbewusst: „Als Maler kann ich die Substanz des Lebens vermitteln.“

Heute klingt Moholy-Nagys Vision wie das Echo aus einer fernen Zeit. Wie real kam der Maler, Fotograf und Gestalter, der von 1923 bis 1928 als Lehrer am Bauhaus in Weimar und Dessau tätig war und nach seiner Übersiedlung in die USA 1937 auf Vermittlung von Walter Gropius das „New Bauhaus“ beziehungsweise die von ihm gegründete „School of Design“ in Chicago leitete, an seine angestrebte Utopie heran?

Die Schirn Kunsthalle in Frankfurt hat das 90-jährige Bauhaus-Jubiläum nun zum Anlass genommen und vereint erstmals nach der Kasseler Überblickschau 1991 wieder sämtliche Werkgruppen Moholy-Nagys in einer Retrospektive. Zu sehen sind 170 Arbeiten des Vordenkers und Multitalents, der sich nur wenige Jahre nach seinem Umzug 1919 zuerst nach Wien und kurz darauf nach Berlin im Kreis der modernen Avantgardekünstler etablierte.

Auffallend an den frühen Ölbildern, Collagen und Aquarellen, die am Beginn der chronologisch aufgebauten Schau hängen, ist Moholy-Nagys Interesse an der städtischen Industriekultur Berlins, an geometrischen Formen und typografischen Elementen, die er flach und dynamisch aufs Bild setzt. Kühler, streng geometrischer sind seine zwischen 1923 und 1925 gefertigten Linolschnitte und zeitgleich gemalten Bilder. So besteht „Komposition Q XX“, ein Ölbild auf Holz von 1923, aus einem roten Kreis, der auf einem schwarzen Hintergrund zu schweben scheint und von Linien und Flächen durchzogen ist.

Im gleichen Jahr 1923 realisierte der russische Konstruktivist El Lissitzky auf der Großen Berliner Kunstausstellung seinen Demonstrationsraum. „Linie, Fläche, Stab, Würfel, Kugel und Schwarz, Weiß und Grau auf Holz“, bezeichnet El Lissitzky als die elementaren Formen und Materialien des Raumes. Es liegt nahe, dass Moholy-Nagy, der 1922 mit Lajos Kassák das „Buch neuer Künstler“ herausgab und darin Werke El Lissitzkys vorstellte, auch dessen Proun-Raum kannte. Tatsächlich entdeckt man in Moholy-Nagys Arbeiten eine frappierende Nähe zu El Lissitzkys Gestaltungsprinzip, das er aufgriff und intensivierte. Ähnlich kombiniert er die elementaren Formen Linie, Fläche, Kreis und arbeitet mit Hell-Dunkel-Kontrasten und Farbnuancen, um eine räumliche Wirkung zu erzielen. Im Fall des Ölbildes „A 19“ von 1927 setzt Moholy-Nagy eine Art Lichtspot auf sich durchkreuzende Farbflächen. Dieser bühnenartige Beleuchtungseffekt bewirkt, dass man durch mehrere transparente Farbschichten hindurchzublicken glaubt.

Das Abc der Zukunft

Nirgends hat Moholy-Nagy jene Flächenästhetik so produktiv vorangetrieben wie in seinen Filmen und Fotoarbeiten, die sich durch extreme Aufsichten, angeschnittene Perspektiven und ungewöhnliche Close-ups von kommerziellen Produktionen abheben. Vorausschauend hält er 1927 fest: „der fotografie-unkundige (wird) der analphabet der zukunft sein.“

Er selbst erregt Aufsehen durch Experimente mit der kameralosen Fotografie. Die Lichtempfindlichkeit des Fotopapiers nutzend, entwickelte er im Labor abstrakte Studien. Was Moholy-Nagy an Gegenständen direkt auf dem Fotopapier belichtete, sollte hinterher kaum noch erkennbar sein. Manche seiner Fotogramme erinnern heute an im All schwebende Flugkörper, an nächtliche Lichtarchitektur oder an röntgenartig durchleuchtete unheimlich wirkende Dinge.

Die Fotogramme und die auf ihnen aufbauende kinetische Skulptur „Licht-Requisit“ von 1930 platziert die Schirn-Schau zwar nicht direkt nebeneinander. Dafür betont aber die Verschränkung von Gemälden, Fotografien, Filmen und Buchgestaltungen bis hin zu den spektakulären Bühnenbildentwürfen für „Hoffmanns-Erzählungen“ und „Madame Butterfly“ im Auftaktraum der Ausstellung, wie viele Wege der Universalist Moholy-Nagy in den 20er-Jahren fand, seine Bildsprache an Wissenschaft und Technik zu orientieren.

Die Verschränkung von Material, Licht und Bewegung spielt für Moholy-Nagy, der am Bauhaus die Metallwerkstatt leitete, in den 1930er-Jahren eine zunehmend große Rolle. Im zweiten Ausstellungspart faszinieren vor allem Reliefbilder wie „Space Modulator Experiment, Aluminium 5“, kombiniert aus einer mit Ritzen versehenen Metallplatte, einer bemalten Plastikscheibe und lackiertem Holzträger. Die Materialcollage verweist bereits auf die zeitlich späteren Plexiglasskulpturen.

Umzug in die neue Welt

Auch nach seiner Migration 1937 in die USA ist der einstige Bauhäusler den industriellen Innovationen gegenüber äußerst aufgeschlossen. So nutzt er weiterhin vorgefertigte Aluminium- und Plexiglasplatten als Untergründe. Zugleich weitet er die Grundformen des Konstruktivismus in seiner Malerei aus. Auf dem Bild „CH B3“ entdeckt man mikrobiologische Gebilde, die Moholy-Nagy durch Raoul Francé kannte. Erst 1946, kurz vor seinem Tod, mischt sich Skepsis in seine Weltanschauung: sein Ölbild „Nuclear II“ zeigt eine schwebende Weltkugel und darauf angedeutet Länder, Raketen und eine Atomwolke.

1930 plante Moholy-Nagy für das Sprengel Museum Hannover einen „Raum der Gegenwart“, der jetzt erstmals realisiert wurde, als glücklicher Abschluss der Schirn-Ausstellung. Der installative Schauraum bündelt nochmals Moholy-Nagys wichtigste Theorien aus der Bauhaus-Zeit. Die simultane Präsentation von fotografischen Positionen, Film- und Diaprojektionen und die Integration eines „Lichtrequisits für eine elektrische Bühne“ weisen Moholy-Nagy als frühen Cross-Media-Künstler aus. In der aktuellen Hochhausarchitektur findet man ebenso wie in installativen Kunstprojekten bis heute Gestaltungselemente Moholy-Nagys wieder, etwa die Verwendung von Plexiglas als transparenten Raumteiler.

■ Moholy-Nagy, bis 7. Februar 2011, Schirn Kunsthalle, Frankfurt, bis 7. Februar ■ Katalog (Prestel Verlag) 29,90 bzw. 49,90 €

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