: „Ich war ein eitler Fatzke“
Mit dem Sänger und Entertainer Bernd Begemann kann man über vieles reden: Filme, Bücher und den Fluch der Attraktivität
Interview Jan Paersch
taz: Herr Begemann, eine Zeitung schrieb einmal, Sie seien eine Feuilletonmaschine: Man müsse nur auf einen Knopf drücken, und es käme was raus. Was wäre, wenn ich nun keinen Knopf drücken würde?
Bernd Begemann: Ich würde wohl über Fernsehen und Bücher sprechen. Netflix ist eine seismische kulturelle Veränderung. Genau wie der Moment, in dem ich den Kabelanschluss bekam. In der ersten Woche mit Kabelfernsehen bin ich jede Nacht wach geblieben. Ich konnte nicht glauben, dass es nicht aufhört. Je nach Stadtteil bekam man damals drei bis sechs Fernsehsender, je nachdem, wie der Empfang war. Ein Freund von mir sagte: ich hab Erstes, Zweites, Drittes und Sexy Clips. Das war eine Sendung auf Hamburg1. Das Programm für den schwiemeligen Hausmeister in uns.
Und die Bücher?
Ach, es gibt so viele gute Hörbücher. „Krieg und Frieden“! Ich will ja nicht wie ein Gehirnamputierter rüberkommen, aber: Das ist echt ein dickes Buch. Aber als Hörbuch okay. Lesen hat sicher nicht mehr den Stellenwert, den es früher hatte. Das fing schon in den Neunzigern an. Ein Bekannter von mir hatte ein Techno-Label und manchmal hat er junge Electro-Fans zum Weiterfeiern nach Hause mitgenommen. Und es ist wohl öfter vorgekommen, dass die jungen Leute vor dem Bücherregal standen, kicherten und sich in die Seite stießen. Und dabei auf die Bücher zeigten.
Sind Bücher für Sie wichtig? Gar ein Fetisch?
Mein Fetisch war das Album. Das ist jetzt verschwunden. Du musstest damals einfach eine Haltung haben zu „Entertainment“ von Gang of Four. Du musstest einfach verstehen, was das Album wollte. Jetzt musst du Spotify haben. Andererseits gibt es im Netz Videos von 20-Jährigen, die superkomplizierten Jazzrock spielen. Warum die das spielen? Weil man das nicht verDSDSen kann. Das kann man ihnen nicht wegnehmen.
Wie hören Sie Musik? Nutzen Sie Spotify & Co.?
Im Augenblick habe ich noch eine iPod-Weltsicht. Zwei Stück davon, mit jeweils 30.000 Songs drauf. Ich habe das Gefühl, dass ich diese 30.000 noch nicht richtig durchdrungen habe. Ich bin noch nicht bereit, mich von irgendwelchen Random Playlists von selbsternannten Influencern manipulieren zu lassen. Musik hatte in den Fünfzigern und Sechzigern so einen enormen Stellenwert, weil sie eine Geheimsprache war. Es gab eine codierte Art zu kommunizieren, die nur den Jungen und fortschrittlich Gesonnenen offen stand. Und das machen jetzt Apps wie Spotify.
Gibt es noch Hörer, die Musik in klassischer Album-Form konsumieren?
Nein. Aber mir ist es egal, dass das Album ausstirbt. Ich versuche, mit meiner neuen Platte eine Stimmung heraufzubeschwören, in der ich mich aufhalten will. Als ich es neulich im kleinen Kreis vorgestellt habe, haben ein paar Leute gelacht und ein paar geweint. Ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen.
„Die Stadt und das Mädchen“ ist bloß eine halbe Stunde, Ihr letztes Album war dagegen fast 80 Minuten lang.
Ich hab schon einmal ein so kurzes Album gemacht, und da war ich auf die Kürze stolz. Dass ich meine Lebensgeschichte in 30 Minuten erzählen kann, besser als Autoren in ihren 1.000-Seiten-Romanen. Pop kann perspektivisch verkürzt erzählen. Die Lieder hier gab es alle schon vorher, ich hatte sie nur bei den Live-Konzerten schon geordnet. Lieder beleuchten sich gegenseitig. Ich mache Jazz mit meinen Liedern, nicht mit Soli. Ich stell sie neu zusammen, verbinde und kürze sie.
Sie haben sicher mehr als 500 Songs geschrieben. Können sie die alle live spielen?
Das sind nur die, die ich für bühnenwirksam erachte. Manche nerven, manche sind auch geschichtlich überholt. Aber ich passe das auch an: „Du wirst dich schämen für deinen Ziegenbart“ sang ich in den Neunzigern, jetzt ist es eben ein Hipsterbart. Billig, oder? Naja, wozu subtil sein, wenn man einen bierseligen Mob unterhalten muss.
Und dann jazzen Sie Ihre Lieder?
Genau. Einfach um den Abend lebendig zu halten, um ihn für die Anwesenden anzufertigen. Das ist kein vorgestanztes Event. Die arme Beyonce – jeden Abend muss sie 9000 Tanzschritte aufführen. Das ist toll, aber ich will, dass irgendetwas Unerwartetes passiert. Sonst würden mir meine eigenen Konzerte keinen Spaß mehr machen. Ich habe herausgefunden, dass meine Lieder bestimmte Cluster bilden. Es gibt die Autofahrlieder, Sittenbilder, Heimatlieder, sozialkritische kommunistische Propaganda und eben Frauenschicksale wie jetzt auf „Die Stadt und das Mädchen“. Frauenschicksale fand ich immer interessanter als Männerschicksale. Ist das schon umgekehrter Sexismus?
Ich glaube nicht. „Die Stadt und das Mädchen“ ist laut Ankündigung ein Album „in Anlehnung an die klassisch-romantische Form des Liederzyklus“. Was sind das für Zyklen?
Zum Beispiel „Die schöne Müllerin“ oder die „Die Winterreise“, bekannte Volkslieder. Das ist die älteste Form, die ich kenne. Meine zwölf Lieder zusammen bilden eine moderne Großstadtgeschichte. Aber keine Love Story! Es ist ein Zyklus der Anteilnahme an dem Weg eines Menschen. Eine Geschichte, die man so nebenbei mitbekommt, und dann bewegt sie einen mehr, als man denkt.
Diese Lieder nur mit Klavierbegleitung aufzuführen, wäre Ihnen wohl noch vor ein paar Jahren nie in den Sinn gekommen, oder?
Bernd Begemann, 55, ist nach eigenen Angaben „der musikalischste und der hinterlistigste Frauenversteher der Republik“. Am 19. Januar erscheint sein Album „Die Stadt und das Mädchen“ (Popup). Das Releasekonzert in der Elbphilharmonie ist, klar: längst ausverkauft.
Das entstammt einem Kulturempfinden, das ich als Teenager abgelehnt habe. Und das ich jetzt auf seinen Wert abklopfe. Mit live aufgeführter Bandmusik bin ich mit dem letzten Doppelalbum an einen Endpunkt angelangt. Jetzt hätte ich nur noch Electro-Pop machen können. Aber nein. Das muss nicht sein.
Gab es in Ihrer Heimat Bad Salzuflen eigentlich wirklich eine Szene?
Ein Typ namens Frank Werner hat mit einer kleinen Erbschaft ein Studio in seine Garage gebaut, da haben wir uns getroffen. Das war aber nicht so, dass man das Ergebnis veröffentlichen konnte. Wir waren gezwungen, in diesem Brutkasten zu bleiben. Es gab auch niemanden, den wir nachahmen konnten. Meine Lieblings-Soul-Sänger konnten sich schon in der Kirche die Seele aus dem Leib singen. So einen Trainingsplatz hatten wir nicht, deshalb haben wir so lange vor uns hingesuppt. Deshalb mussten wir nach Hamburg, die Stadt, in der die Beatles gut wurden. Wir waren definitiv nicht gut.
Waren Sie ein Frauenschwarm in den Neunzigern?
Absolut. Und ein Schwulenschwarm. Die Zeiten sind leider vorbei. Ich wurde auch nie richtig ernst genommen, weil ich nicht hässlich genug war. Es ist ein Fluch, so attraktiv zu sein. Das hat auch dazu geführt, dass ich oft ein eingebildeter Fatzke war.
Sie sind im November 55 geworden. Was ist anders als mit 25?
Wenn man älter wird, wird man entweder bitter oder weich. Ich bin ein Typ, der weicher wird. Meine Oma hat immer gesagt: „Der liebe Gott hat einen großen Tiergarten.“ Offensichtlich ein Aufruf zu Toleranz. Muss ich oft dran denken.
Bernd Begemann & Die Befreiung: Fr, 29. 12., 21 Uhr, Knust
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