„Scheitern ist eine Lebensqualität“

KULTUR Boris Joens und Sebastian Orlac veranstalten seit zehn Jahren ihre „Show des Scheiterns“. Absurderweise haben sie damit Erfolg. Am Sonntag steigt die Jubiläumsausgabe

■ Organisiert wird die Show des Scheiterns von der Künstlergruppe Kulturmaßnahmen, die 1997 von Boris Joens, Sebastian Orlac und Thorsten Schwarz gegründet wurde. Ihr Arbeitsschwerpunkt ist die Beobachtung und Inszenierung zwischenmenschlicher Kommunikation.

■ In der Show des Scheiterns erzählen jeweils drei Referenten ihre persönliche Geschichte, die ein Experte bewertet. Außerdem erklären die Referenten am Ende feierlich, ob sie ihr gescheitertes Projekt beerdigen oder fortführen wollen.

■ Die Show gastierte bereits mehrfach außerhalb Berlins, etwa an den Münchner Kammerspielen und am Zürcher Theater an der Gessnerallee. In Berlin fanden die vom Showorchester Kapaikos musikalisch untermalten Abende vor meist rund 100 Zuschauern statt.

■ Zur 25. Ausgabe am Sonntag im Haus der Berliner Festspiele, Schaperstraße 24, werden 250 Leute erwartet. Beginn: 20 Uhr. (gl)

INTERVIEW GUNNAR LEUE

taz: Herr Orlac, ist Berlin ein besonders schöner Ort zum Scheitern oder nur der beste, um unterhaltsam darüber zu reden?

Sebastian Orlac: Am Scheitern interessiert uns, dass Leute etwas wagen – und manchmal ist der Wagemut größer, wenn man weniger Miete zahlt. In Berlin gibt es mehr Freiflächen zum Ausprobieren, insofern auch bessere Voraussetzungen zum Scheitern.

Stand Ihre Show des Scheiterns in den zehn Jahren selbst mal auf der Kippe?

Orlac: Vor der ersten Show, damals noch im „Club der polnischen Versager“, hatten wir Bammel. Hätte es nicht geklappt, wäre das echt peinlich gewesen. Aber es lief von Anfang an gut. Wenn, dann wären wir fast am Erfolg gescheitert: Als wir die Show wegen des großen Zuspruchs im Podewil alle sechs Wochen machten, sank prompt die Qualität.

Als Sie angefangen haben, gab es bereits einen Hype um das „Scheitern als Chance“. Nicht zuletzt durch Christoph Schlingensief und seine Partei „Chance 2000“, die genau diese Slogan propagierte. Herr Joens, was war Ihr Antrieb für die Show?

Boris Joens: Uns ging es darum, die Schönheit von Ideen, auch von Schnapsideen, zu feiern. Wir wollten Leute auf die Bühne bringen, die irgendwas Wahnsinniges versucht haben und darüber erzählen.

Orlac: 2001 gab es die Dotcom- und Medienkrise, da kamen viele Leute auf Quatschideen. Meistens entstehen die ja, wenn man entweder viel Geld hat und abgepuffert ist – oder wenn man wirklich Geld braucht.

Und dann gibt es ja noch die Man-müsste-mal-Fraktion der Kreativszene, zu der Sie wohl auch gehören.

Orlac: Klar, wir machen ja auch alle was mit Medien im Hauptjob: Boris unter anderem Musik für Filme, Thorsten Schwarz ist Werbetexter, ich schreibe Drehbücher. Die Show des Scheiterns war die erste Liveveranstaltung, die wir mit unserem künstlerischen Projekt Kulturmaßnahmen organisiert haben.

Joens: Mit Kulturmaßnahmen versuchen wir, unsere Man-müsste-mal-was-machen-Ideen zu verwirklichen. Das klappt nicht immer. In unserer Show haben wir auch schon ein bisschen über uns selbst referiert.

In der musikalisch umrahmten Show erzählen nicht nur drei Menschen ihre Geschichten vom Scheitern; ein Experte beurteilt diese auch. Warum?

Orlac: Unser Experte, der in Berlin lebende polnische Philosoph Wiktor Winogradzki, beurteilt nicht, ob jemand ein Loser ist oder nicht. Er analysiert eher die Qualität des Scheiterns, damit das Publikum einen Gewinn aus den Geschichten ziehen kann: den Erkenntnisgewinn, dass Scheitern eine wichtige Lebensqualität ist, der eine eigene Schönheit innewohnt. Nur: Nicht jedes Scheitern ist schön. Unser Experte hilft abzuwägen, wo die schönen Aspekte sind oder wo jemand vielleicht gar nicht gescheitert ist. Das wäre ja bei uns das Schlimmste.

Wo findet man bühnentaugliche Gescheiterte?

Joens: Manchmal im Publikum, auch im Freundeskreis. Verbockt hat jeder schon mal was.

Aber nicht jeder ist bereit, sich öffentlich zur Schau zu stellen.

Joens: Man kann Leuten auch sehr auf den Schlips treten. Wir hatten mal den Architekten des im Hochwasser abgesoffenen Bonner Schürmann-Baus angefragt. Von dem kam ein Hassbrief zurück, was denn hier gescheitert heiße. Es braucht schon Humor, um bei uns aufzutreten.

Wie viel Selbstdarstellertum gestatten Sie?

Joens: Am wichtigsten ist uns, dass eine Geschichte berührt. Wenn sie lustig erzählt wird, kann das nichts schaden, im Gegenteil. Aber wir wollen keinen Klamauk veranstalten oder gar eine Freakshow. Oft geht es ja um sehr ernsthafte Geschichten wie bei dem Biologen, der für ein wissenschaftliches Experiment Hefezellen ins All schießen ließ. Beim ersten Mal ist die russische „Sojus“ abgestürzt, und als er es noch mal mit der US-Raumfähre „Challenger“ versuchte, verunglückte die ebenfalls. Der Mann war fix und fertig. Nicht nur, weil er seinen Doktor vergessen konnte. Beim „Challenger“-Absturz waren alle Astronauten gestorben. Da blieb dem Publikum das Lachen im Halse stecken.

Orlac: Es ist ein großes Geschenk, wenn jemand öffentlich über etwas spricht, worüber man eigentlich nicht spricht. Wenn unser Publikum oft lachen muss, liegt es auch daran, dass es meist ein karthatisches Lachen ist. Die Leute erkennen sich in vielen Scheitersituationen wider. Wir zeigen ja auch ein sehr breites Spektrum – vom Möchtegernbastler, der nie über den Vorsatz hinaus kam, seinen Motorroller zu reparieren, bis hin zum Erben, der letztlich die geerbte Fabrik abwickeln musste.

Was war die sonderbarste Geschichte der 25 Shows?

Joens: Wirklich schräg war der Bericht eines Mannes über seine Affäre mit einer Frau. Er meinte es völlig ernst – und sie offenbar auch. Das Paar wollte keinen Sex vor der Ehe. Dann sind sie nach Las Vegas geflogen zum Heiraten. Alles verlief total romantisch, bis ihn die Frau ein paar Tage später fragte: „Was, du bist kein Vampir?“ Die war ziemlich durch den Wind und meinte das ernst. Aber der Mann hatte sich mit Leidenschaft in die Beziehung gestürzt. Und dann so was!

Gibt es Leute, die das Scheitern regelrecht anziehen?

Durchaus. Der Vampirmann gehört dazu. Den hatten wir schon öfter in der Show. Aber auch unser allererster Referent ist am Sonntag wieder dabei. Er hatte sich vor zehn Jahren auf unsere Abschlussfrage, ob er sein Projekt fortführen oder beerdigen wolle, für Dranbleiben entschieden. Es aber nicht getan.

Interessieren Sie auch die Gründe?

Orlac: Wir haben sogar alle Geschichten noch mal analysiert und die verschiedenen Routen zum Scheitern auf einer Karte verzeichnet. So verschieden wie die Motive für eine Sache sind – Prestigedenken, Leidenschaft, Karrierestreben –, sind auch die Gründe fürs Scheitern: Faulheit, Unfähigkeit, Angst vor Schmach.

Würden Sie Politiker wie Theodor zu Guttenberg oder Christian Wulff als Gäste reizen?

Joens: Als Menschen reizen die uns natürlich. Aber wir glauben nicht, dass die aufrichtig wären. Die würden sich wohl gar nicht eingestehen, gescheitert zu sein.

Machen das Frauen eher als Männer?

Joens: Frauen reden ohnehin mehr miteinander und brauchen nicht die große Show.

Orlac: Interessanterweise waren nur 20 Prozent unserer Gäste Frauen. Ich vermute, dass Männer nicht nur in der Öffentlichkeit lieber mit ihren Erfolgen prahlen, sie suhlen sich auch in ihren Misserfolgen. Die reden einfach gern über sich. Aber natürlich scheitern auch Frauen. Eine erzählte bei uns, wie sie in Monaco mit einem Imbiss Schiffbruch erlitt. Es fehlten schlicht die Kunden, weil die Reichen nur aus Steuergründen einen Wohnsitz dort haben und die Touristen ihr eigenes Essen mitbringen. Nach zwei Monaten warf sie hin.

Wird Scheitern in der Gesellschaft heute weniger als Makel empfunden als noch vor zehn Jahren?

Joens: Scheitern wird zugelassen, aber nur unter der Bedingung, dass es nicht wieder vorkommen soll. Im Prinzip ist es schlimmer geworden, weil man sich noch stärker positiv verkaufen muss. Das läuft unter dem Motto: Erfolgreich scheitern. Damit es mit der Million beim nächsten Mal garantiert klappt.

Orlac: Heute wird alles auf Effizienz und Vermarktung gebürstet. Der anarchische Moment des Scheiterns, dass mal was nicht klappt und man es einfach so stehen lässt, wird verdrängt. Wenn man bedenkt, was kurz nach der Wende alles passierte und auch scheiterte – da zeigte sich eben auch ein großer Moment der Freiheit.

Wie haben die Showerfahrungen Sie persönlich beeinflusst?

Orlac: An manchen Punkten bin ich mutiger geworden und habe mir gesagt: Im Zweifel kann ich ja in unserer Show auftreten. Für die Jubiläumsshow haben wir uns finanziell durchaus aus dem Fenster gelehnt. Wenn die ein Flop wird und wir draufzahlen, wäre es ein richtiger Abschluss für die Show.