Präzise, aber ohne Leben

Mit Ödipus und Antigone inszeniert Felix Rothenhäusler Sophokles’Tragödien am Goetheplatz als betont hohlen Sprechspaß ohne Tiefgang

Irgendwie Sitcom, obwohl zwei stehen: Ödipus am Goetheplatz Foto: Jörg Landsberg/Theater Bremen

Von Jens Fischer

Ein Mythos, in dem die Geburt des modernen Individuums durchlitten wird: Auf der Suche nach dem Mörder seines Vaters entdeckt Ödipus sich selbst als Schuldigen und findet mit seiner Tochter-Schwester Antigone zu eigenverantwortlichem Handeln. Wobei sich der Götterhimmel nicht mehr als gedankliche Bezugsgröße und Grenze, sondern als Wolkengespinst erweist. Schwierig – dieser luftig erdige, feurig existenzielle Stoff.

Einen leichten Ausgangspunkt wählt daher Felix Rothenhäusler am Theater Bremen. Er setzt sich ab von aktuellen Versuchen, den antiken Krimi mit Gruseleffekten aus den Bereichen Pädophilie, Inzest, Kinderverschleppung, Vertreibung und Suizid zu inszenieren – und dockt bei Regie-Kollegen an, die den Stoff auf psychorealistisches Fernsehfilmformat reduzieren. Ausgewalzt zu TV-Serien ist es ja gerade höchst beliebt, mythische Geschichten im Alltag zu verorten. Nun also die schön reiche, verlogen heile Welt einer schnöden Familienaufstellung mit dem Therapeuten Dr. Theresias.

Vor ihm auf dem Boden hockt der junge, vom Untergang beseelte Haimon: Die einen halten ihn für verschnupft, andere für irre. Er selbst behauptet, die Pest zu haben und stibitzt ein paar Zeilen von Paul Celan. „Schwarze Milch der Frühe … wir trinken und trinken … der Tod ist ein Meister aus Theben.“ Antigone: „Jetzt vögel ich dich mal richtig durch, dann geht es dir besser.“ Ja, es fehlt nur noch so eine krass schnodder-ironische Textfassung Jan Eichbergs und sie könnte als Sitcom funktionieren, die blutige Mär des thebanischen Herrscherclans der Labdakiden, die durch einen Schuldvererbungsplot aneinander gekettet sind.

Hören wir mal rein, als es gerade darum geht, ob die Sphinx bloß ein niedliches Kätzchen ist. Kreon: Du hast doch gar keine Ahnung! Die Sphinx war das allerschlimmste, was unserer Stadt je passiert ist. Iokaste: Ein Monster! Ismene: Wieso, was hat die denn gemacht? Kreon: Jedem Mann, der an ihr vorbei gegangen ist, hat sie Rätsel gestellt. Ismene: Ja und? Kreon: Wer die nicht lösen konnte, wurde von ihr gefressen. Iokaste: Niemand konnte die lösen. Deshalb hat sie ja auch alle aufgefressen. Antigone: Richtig aufgefressen? Ismene: Aber irgendwer muss die Sphinx ja schließlich besiegt haben? Sonst wär die ja immer noch hier. Kreon: Na, hier, dein Vater eben. Ismene: Echt? Ödipus: Ja. Ich war das. Antigone: Du hast das hingekriegt? Ödipus: Na klar. Antigone: Du bist so toll, Papa! Ödipus: Ach … Ismene: Wie hast du das gemacht? Ödipus: Rätsel gelöst, fertig.

Es gibt eine fixe Regieidee und die wird mit manischer Konsequenz durchgezogen

Ist doch irgendwie witzig. Und auch nicht ganz inhaltsfrei. Wenn Macht Gegenmacht herausfordert, Angst neue Angst provoziert, heißt es: „Ich hab den Kindern doch gesagt, dass Gewalt scheiße ist.“ Nur: Das liest sich alles lässiger, als es auf der Bühne zu erleben ist. Um sich nicht komplett mit der Sitcom gemein zu machen, wählt der Regisseur einen distanzierend formalen Zugriff und stellt die Mechanik der Ping-Pong-Comedy-Dialoge aus. Vorgetragen wird in monotonem Duktus mit rasantem Tempo, rhythmisch akzentuiert von Satztrennungseinwürfen eines Gitarristen. Musikalisch und sprechakrobatisch ist das von virtuoser Präzision, aber völlig leblos.

Auch die Pointen bekommen keine Zeit, um Raum zum Zünden zu finden im mediterranen Reisekatalog-Bühnenbild: Warmes Licht beschmust blau-weiß dahinwellende Meeresillusion und aparte Fragmente eines dieser weißen griechischen Inselhäuschen. Darin nimmt das Stückpersonal anfangs Platz – und behält ihn stoisch bis zum Ende bei. Gestrichen ist der vitalisierende Chor des machtvollen Volks. Nicht gestrichen vom Bühnendasein wird eine Figur nach ihrem Theatertod, nun sei sie eben „Astralleib“, heißt es, die Haltung bleibt unverändert wie die Quasselei. Es zuckt zwar mal der Kopf, mal ein Arm, ansonsten gibt es kaum Bewegung oder Interaktion auf der Bühne. Nur szenisches Sprechen. Als handele es sich um eine Aufführung dieser historischen Jahrmarktorgeln, auf denen himmlische Musikanten als Puppenautomaten eine auf Lochkarten vorgestanzte Show darbieten.

Nur dass die hier im Theater nicht drei, sondern 70 Minuten dauert. Eben ein echtes Rothenhäusler-Kunstwerk. Es gibt eine fixe Regieidee und die wird mit manischer Konsequenz durchgezogen. Dazu serviert der begleitende Programmzettel noch einen Überbau, der Kritik übt an einer Kultur des Verdrängens und Belügens. „Es ist der Klang des nicht abbrechenden Redestroms, der nicht nur nichts erzählt“, sondern „jedes potenzielle Erkenntnismoment“ versiegeln soll. Weswegen auch Sätze fallen wie: „So, jetzt setzen wir uns alle erst mal einen ordentlichen Schuss und entspannen. Lasst uns das einfach alles vergessen.“ Nur sind gerade „Ödipus“ und „Antigone“ Tragödien, in denen Sprache explizit ein Werkzeug ist, in Lebenslügen gehüllte Wahrheiten zu entkleiden. Geradezu Diskursdramen, in denen um Individuum und Gesellschaft, Glaube und Vernunft, Recht und Gerechtigkeit gerungen wird. In Bremen ist nur eine betont hohle Sprechspaß-Anstrengung zu erleben. Die Fallhöhe der Helden ist gleich Null.

Termine: 18. 12. sowie 10. und 18. 1., 20 Uhr, Theater Bremen